Ein Single mit feinem Gespür für Nichtigkeiten – A Single Man [Rezension]
In diesem Roman geht es um einen einzigen Tag im Leben eines Mannes, der nach dem Verlust seines Partners nicht mehr recht ins Leben zurückfindet. Mit peinlicher Genauigkeit und einer guten Portion Sarkasmus analysiert er seine Umgebung und alle um sich herum, bis der Tag ein paar unerwartete Wendungen nimmt.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Mich darüber gefreut, einen lebendigen Partner zu haben und diesen mit ganz anderen Augen gesehen.
- Mich dabei erwischt, wie ich eigentlich den ganzen Tag so mein Leben kommentiere.
- Beschlossen, dass ich mein Leben mehr „leben“ möchte.
Mein Eindruck zu A Single Man:
„A Single Man“ wurde erstmals 1964 von Christopher Isherwood veröffentlicht und gehört damit bereits einer anderen Zeit an. Von der Beschreibung des Buches her, in der immer wieder von der Begegnung mit einem jungen Studenten gesprochen wird, hätte ich erwartet, dass diese Begegnung mehr Relevanz im Verlauf des Buches gehabt hätte. Tatsächlich kam es jedoch erst recht spät zu dieser „Begegnung, die sein Leben durcheinander bringt“. Hier wurde in meinen Augen die Erwartung des Lesers nicht befriedigt.
Worin das Buch jedoch positiv überrascht, ist die Tiefe, die in alltägliche Dinge gebracht wird. Die Gedanken der Hauptfigur nehmen den Großteil des Buches ein, wodurch im Grunde nicht viel passiert, man jedoch durch etliche Überlegungen und Gefühle hindurch wandert.
Es ist amüsant zu lesen, wie ein in zynische Gedanken versunkener Akademiker im Verlaufe eines Tages durch die verschiedensten Gefühlslagen hindurch geht. Ist er im einen Moment noch gelassen bis gelangweilt, genügen schon der Straßenverkehr oder das Verhalten seiner Nachbarn dazu, ihn – zumindest innerlich – völlig aus der Haut fahren zu lassen. So geht der Universitätsprofessor George mit einem mal wilden Phantasien darüber nach, wie er die Menschen um sich herum um die Ecke oder in schlimmsten Verruf bringen will. Eine nahezu morbide Seite des Protagonisten kommt zum Vorschein, die aber im nächsten Moment wieder der Vernunft weicht. Gleichzeitig ist das Buch von einer starken Melancholie durchzogen, die immer wieder von ausbruchsartigen Versuchen sich selbst neu zu erfinden durchbrochen wird.
Der Autor beschreibt sehr gut, sodass man regelrecht in die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten hineingezogen wird.
Stärken des Buchs:
Es gefällt mir, mit welcher Selbstverständlichkeit Christopher Isherwood es schafft, die eigenen Regungen, die einen im Alltag in den Wahnsinn treiben, verständlich zu machen. Man bekommt das Gefühl, dass alle – auch diese teils völlig übertriebenen – Gemütszustände willkommen und gut sind. Man baut Verständnis für Goerge auf, und dadurch auch gewissermaßen für sich selbst.
Schwächen des Buchs:
So sehr das Buch einen auch auf der Gefühlsebene und mit Gedankenspielen in den Bann zieht, so passiert dennoch relativ wenig in der Außenwelt. Ich habe während des Lesens immer darauf gewartet, dass nun endlich das lebensverändernde Ereignis auftritt. Doch es trat irgendwie nichts wirklich Unerwartetes auf. Dies lässt den Leser mit einer gewissen Enttäuschung und Leere in der Brust zurück. Wobei ich mir zum Teil auch vorstellen kann, dass dies beabsichtigt war. Es bringt noch einmal das Gefühl, das George am meisten zu schaffen macht auf den Punkt. Diese Leere, diese Erwartung, diesen Mangel. Gerade bei einem Buch aus den 60ern kann ich nicht sagen, ob nicht genau dies geplant war.
Mein Fazit zu A Single Man:
Ich denke, dass „A Single Man“ kein unbedingt einfaches Buch ist. Es hat mir immer wieder eine Mischung aus Freude und Unbehagen bereitet, es zu lesen. Zum einen wegen dieser faszinierenden Art, den Leser mit genial beschriebenen Banalitäten zu fesseln, zum anderen weil die Melancholie mich doch immer ein Stückchen weit angesteckt hat. Ich habe mehr oder minder unfreiwillig begonnen, mein eigenes Leben in Frage zu stellen. Es ist ein Roman, der definitiv zum Nachdenken anregt, aber einem dennoch das ein oder andere Schmunzeln ins Gesicht treibt.
A Single Man
Christopher Isherwood
erschienen bei Atlantik
10. Mai 2016 (Erstausgabe 1964)
Geschichten mochte Dean schon immer. Am liebsten vertieft er sich in solche, die seiner Welt nahekommen, aber doch in ihrer Form freier und unkonventioneller sind. Dass dabei so manches Mal fragwürdige Moralvorstellungen, Magisches oder Morbides vorkommt, ist ganz nach seinem Geschmack. Wenn er nicht gerade selbst mit Schreiben, Zeichnen oder Musizieren beschäftigt ist, liest Dean viel und teilt diesbezüglich auch gerne seine Leseerfahrungen. So wie hier im Buchensemble.
Dean war von 2018 bis 2020 Mitglied im Buchensemble.