Wenn ich groß bin, werde ich ein Sachbuch? – Am Ende des Schattens

Wenn ich groß bin, werde ich ein Sachbuch? – Am Ende des Schattens

Segal Dolphin ist Reporter im Berlin der 30er Jahre. Zwischen den Nachwirkungen des 1. und den Vorboten des 2. Weltkrieges recherchiert der Journalist über die Rassenfrage. Gleichzeitig verliebt er sich in die bisexuelle, jüdische Fotografin Dodo Liebermann, die ihn immer weiter in eine aufregende Beziehung – und in dunkle Machenschaften verwickelt.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Diese Rezension verfasst.
  2. Mir ein neues Buch geholt.
  3. Eine Tasse Tee zubereitet.

Mein Eindruck zu „Am Ende des Schattens“:

Ich breche Bücher nicht gerne ab. Aber „Am Ende des Schattens“ war so anstrengend zu lesen, dass ich es nicht über Seite 50 hinausgeschafft habe. Wie soll man so eine Rezension schreiben, fragt ihr euch? Woher willst du wissen, ob das Buch nicht gegen Ende hin noch das großartigste, beste und faszinierendste Buch geworden wäre, das je das Licht der Welt erblickt hat?

Kann ich nicht. Und will ich auch gar nicht. Kann ja sein, dass es wirklich gut geworden wäre, aber ganz ehrlich: Wenn ich mich über die ersten 50 Seiten schon plage, als wäre es eine mir von der Hölle auferlegte Strafe, dann halte ich das für 280 Seiten erst recht nicht durch.

Stärken des Buchs:

Natürlich ist es nicht nur schlecht. Genau genommen ist es nicht einmal „schlecht“. Es ist einfach nur … atmosphärisch dicht, so nennt es der Klappentext.  Und das muss man auch loben: Andreas Höll hat sehr gut recherchiert. So gut, dass er gerne jedes erdenklich kleine Detail ins Buch einbauen möchte. Das verstehe ich, Recherche – so sie gut und gewissenhaft durchgeführt wurde – ist anstrengend. Niemand lobt dich dafür, viele Fakten fallen unter den Tisch, eine ganze Mappe landet in der Schublade, weil sie nicht in die Story passen. Oder: Man baut sie einfach ein. Man ignoriert die Handlung und Dialoge – wer braucht das schon – und lässt einfach nur eine schillernde Welt wiederauferstehen. Berlin! Mit allen Persönlichkeiten, allen Orten, den Gepflogenheiten, bis hin zu Kleinigkeiten wie „Wo man damals seinen Morgenrock kaufte“ (und wer wollte sowas nicht schon immer mal wissen?). Quasi ein Stadt-, Sitten- und Kulturführer, alles in allem. Nur kein Roman.

Schwächen des Buchs:

In 50 Seiten erfährt man so gut wie nichts über die Charaktere, außer, welchen Whiskey sie trinken, welches Parfum sie wo genau kaufen und wie die Verpackung desselben aussah. Dolphin läuft von A nach B, dann wieder zurück, telefoniert etwa 30 Mal am Tag, ohne jemanden zu erreichen und liest die Zeitung. Natürlich mit Original-Zitaten und Originalabschriften, Beschaffenheit des Papiers und allem Drum und Dran. Gespräche werden als indirekte Rede wiedergegeben und dienen eigentlich nur dazu, historische Inhalte zu vermitteln. Sogar als Dolpins Freundin ihn verlässt, erfährt man mehr über das Radrennen, welches gerade stattfindet, als über die Sache an sich. Und seine sogenannte Verliebtheit in die später offensichtlich noch relevante Dodo, wird von seitenlangen Beschreibungen eines Kaffeehauses inklusive aller anwesenden Besucher überstrahlt. (Ihre einzige Qualität scheinen übrigens ungewöhnliche Sexualpraktiken zu sein).

Mein Fazit zu „Am Ende des Schattens“:

50 Seiten von 280. Das ist nichts. Das ist gerade einmal ein Eindruck. Und trotzdem kann ich sagen, dass ich dieses Buch unter keinen Umständen weiterlesen kann. Schon die letzten dreißig Seiten habe ich nur Beschreibungen überlesen, um irgendwo einen Hauch Handlung oder Charakter zu finden, aber vergeblich. Wer auf Recherche steht – also im Sinne von ausschließlicher Bericht über alles, was sich über die 30er Jahre in Berlin recherchieren lässt – wird das Buch bestimmt lieben. Wer sich, wie ich, wünscht, Recherche in eine Handlung (eine Romanhandlung, mit Höhen und Tiefen und Gefühlen) eingebettet zu sehen, welche von echten Charakteren (ebenfalls mit Höhen und Tiefen und Gefühlen) getragen wird, ist hier leider fehl am Platz.

Schweren Herzens breche ich also Buch und Rezension an dieser Stelle ab und vergebe 2 von 5 Sternen für „Am Ende des Schattens“. Einen davon für die ausgezeichnete Recherche, und einen dafür, dass Andreas Höll gut mit Worten umzugehen weiß. Der Text ist gut geschrieben – nur Roman ist er halt auch irgendwie nicht. Als Sachbuch wäre er wahrscheinlich eher gut beraten gewesen.

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Am Ende des Schattens

Andreas Höll

Historischer Roman
Softcover, 285 Seiten

erschienen bei Mitteldeutscher Verlag

13. September 2021

ISBN 978-3-963115110

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