Nix mit großer Liebe – Blaue Nächte
Milenas Familie gehört das „Blue Nights“, das beliebteste Tanzlokal der Stadt. Sie selbst hält es für ein bösartiges Tier, das alles verschlingt, was ihr wichtig ist. Bis ihre Mutter ihr ein Buch zu lesen gibt: die Geschichte von Emil und Lotte, eine Liebesgeschichte, die in einem Dorf der 50er-Jahre beginnt und sich bis in die Gegenwart zieht – und zwar bis vor Milenas Haustür. Auf einmal liegt das Schicksal der beiden Liebenden in ihrer Hand.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Mich freuen, dass die Autorin gerade noch so die Kurve gekratzt hat.
- Nachgelesen, ob das das erste Buch der Autorin war.
- Es erst einmal zur Seite gelegt, um etwas anderes zu lesen.
Mein Eindruck zu „Blaue Nächte“:
Ich mag ja Bücher, die in zwei Zeiten spielen und sich dann „unweigerlich verweben“ irgendwie von Grund auf nicht. Selten ist so ein Konstrukt gelungen, selten sind die Parallelen, in denen sich die moderneren Charaktere wiederzufinden glauben, echt. So auch „Blaue Nächte“. Es ist ein klassisches Zwei-Zeiten-Vermisch-Buch, wie man es erwarten würde, mit Fokus auf dem „Jetzt“ und auf den 50er Jahren, bei dem es um die Konstruktion einer „großen Liebesgeschichte“ in der Vergangenheit und die Charakterentwicklung der Protagonistin in der Jetzt-Zeit geht.
Stärken des Buchs:
Der eine Handlungsstrang ist dabei, wie meistens, besser gelungen als der andere. Emil und Lotte geben ein passables Liebespaar ab. Ich mag Emils Listen-Aufzählungen und auch die Atmosphäre die er schafft, seine Art, Dinge zu beschreiben und Lottes Art zu tanzen. Rebekka Knolls Schreibstil ist vor allem in Emils Teilen (quasi ein Buch im Buch) flott und ansprechend, die Handlung hält einen bei Laune und bindet auch gut die Recherche der Autorin zu den 50ern und die dazu passende Musikszene mit ein. Was Milenas Geschichte betrifft, so sind zumindest die Nebencharaktere ganz gut gelungen, vor allem Ivy (die leider viel zu selten vorkommt) ist immer wieder für ein Schmunzeln gut.
Gelungen finde ich auch Milenas Charakterentwicklung, die sie wenigstens halbwegs erträglich werden lässt, und die Verflechtung der Geschichten vor allem im hinteren Teil. Und natürlich das Ende, weil es meine Meinung über das Buch noch einmal gedreht hat. Ich komme gleich darauf zurück.
Schwächen des Buchs:
Jetzt aber erst mal zu den Schwächen. Milena. Mir ist klar, dass die Autorin Charktere schaffen wollte, die nicht 08/15 sind, aber irgendwie ist ihr das gleichzeitig gelungen (was Milena entsetzlich langweilig macht) und misslungen (was eine andere Ebene von Langeweile macht). Sie ist eine der passivsten, langweiligsten und leidensfähigsten Heldinnen, die ich je durch ein Buch begleitet habe. Sie hat kaum Interessen, weint seit 10 Jahren ihrer „großen Liebe“ nach (wenn ihr mich fragt eher grundlos) und liegt dabei hauptsächlich im Garten herum. Wenn sie doch mal was machen muss, traut sie es sich nicht zu. Die einzigen Szenen, in denen sie lebendig wirkt, sind die mit Paul, wobei diese Milena und die normale Milena so weit auseinandergehen, dass es für mich nicht mehr realistisch wirkt, dass das ein und dieselbe Person sind.
Auch Emil ist gelinde gesagt unsympathisch (wenigstens auf eine weitgehend realistische und nicht ganz so unangenehme Art und Weise). Auch er behauptet ständig, Lotte sei seine „große Liebe“, wenn es aber darum geht, Nägel mit Köpfen zu machen, reicht seine ach so große Liebe aber nicht einmal bis zur Haustür hinaus. Stattdessen verpasst er seine große Chance und verbringt die nächsten 50 (oder so) Jahre damit, Lotte nachzuweinen. Immerhin liegt er dabei nicht im Garten herum.
Zwei ganz große Lieben also, die durch das Schicksaaal … nein. In keiner der beiden Geschichten ist das Schicksal schuld, dass die große Liebesgeschichte nicht funktioniert, sie selber sind es. Mal realistischer (Emil und Lotte), mal unrealistischer (Milena und Paul) geht alles den Bach runter. Dabei wird trotzdem die ganze Zeit von der „großen Liebe“ geredet, wie sie im Buche steht , obwohl es im Prinzip darauf hinauslauft, dass die Männer ihren Arsch nicht hockriegen und die Mädels jahre- oder gar jahrzehntelang ausharren, weinen, und auf die feinen Herren warten, weil das ach so romantisch ist, passiv herumzugurken und sein Leben nicht mehr auf die Reihe zu kriegen. NICHT.
Mein Fazit zu Blaue Nächte:
Gerettet hat das Buch – genau, ich habe es oben angekündigt – das Ende. Und Lotte. Lotte, die tatsächlich der sympathischte Charakter von allen war, auch wenn es um sie eigentlich irgendwie nie ging. Denn Lotte hat (ACHTUNG SPOILER) nicht, wie Milena die ganze Zeit glaubt, 50 Jahre voller Herzschmerz auf Emil gewartet, obwohl er sich wie ein (entschuldigt die Ausdrucksweise) Volltrottel benommen hat. Sie hat im Gegensatz zu Milena ihr Leben einfach weitergelebt und halt ab und zu an ihn gedacht. Das wiederum inspiriert Milena endlich dazu, sich auch nicht von Paul verarschen zu lassen (der übrigens nicht viel kann, außer dass er blaue Augen hat), und obwohl die letzten Seiten dann nochmal einen Schwenker hin zum abgeschwächt kitschigen Happy End macht, hat diese Anwandlung von weiblichem Selbstbewusstsein das Buch gerettet. Ein Meisterwerk ist „Blaue Nächte“ aber trotzdem nicht, eher ein durchschnittlich anspruchsvoller Zeitvertreib im 50er Jahre-Setting. Da der Roman nicht per se schlecht ist und es bestimmt LeserInnen gibt, die genau sowas suchen, vergebe ich nichtssagende 3 von 5 Sternen und entschuldige mich noch einmal für meine ab und zu mit mir durchgegangene Wortwahl. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.
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Blaue Nächte
Rebekka Knoll
erschienen bei Penguin
13. Januar 2020
Auch wenn sie besonders oft Fantasy liest, wird prinzipiell jedes Buch gelesen, das unvorsichtig genug war, ihr in die Hände zu gelangen. Nur vor Krimis und Thrillern wahrt Marlen respektvollen Sicherheitsabstand, der sich bei begründetem Spannungsverdacht allerdings sehr schnell verringern kann. Wenn sie nicht gerade liest, haut sie wahrscheinlich gerade eifrig in die Tasten um ihre Roman voranzutreiben und ihre Figuren leiden zu lassen.