Was für ein Titel! – Das Mädchen, das in der Metro las
Juliette ist eine ganz normale junge Frau, mit einem ganz normalen Job und einem auch sonst sehr normalen Leben, die gerne liest. Moment. Was ist eigentlich normal? Und wer bestimmt, was normal ist und warum sollte Juliette sich daran halten. Das sind nur einige der Fragen, mit denen sich die Immobilienmaklerin auseinandersetzt, nachdem die dem kautzigen Soliman begegnet. Der verlässt sein zuhause niemals und lebt inmitten von Büchern. Nicht nur das, er lebt sogar in Büchern und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die richtigen Bücher an die richtigen Menschen zu bringen.
Nachdem Juliette zunächst eine seiner Kuriere wird, muss Soliman überraschend fort und bittet sie, sich um seine Tochter zu kümmern. Juliette krempelt ihr Leben um. Und das nicht nur einmal.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Das Cover unter dem wunderschönen Schutzumschlag angesehen (schlicht weiß)
- Die enthaltene Bücherliste nach Titeln durchforstet, die ich bereits kenne (zu wenige)
- Die nächste Lektüre ausgewählt
Mein Eindruck zu Das Mädchen, das in der Metro las:
Der Titel hält in diesem Fall, was er verspricht. “Das Mädchen, das in der Metro las” liest sich stellenweise recht umständlich. Lange Sätze, Schachteln, Klammern und alles, was die Welt der Zeichensetzung ermöglicht. Dennoch macht das Buch mit ein bisschen Überwindung Spaß.
Die junge, aber dennoch etwas schrullige Protagonistin ist gefangen in sich selbst und findet einen außergewöhnlichen Weg, sich selbst und ihrem Leben zu entkommen. Die schwurbelige Sprache passt da manchmal zu ihrem Charakter. Vielleicht ist sie aber auch eine Folge der Übersetzung aus dem Französischen.
Neben der komplizierten Leichtigkeit, sticht die Geschichte jedoch mit einigen thematischen Spitzen, die ich nicht erwartet habe. Eingebettet wird die Handlung in ein skurril anmutendes Setting. Die Figuren wirken isoliert, beinahe weltfremd, einige scheinen grundsätzlich nur von Luft und Bücher zu leben, ohne Gedanken an Lebensunterhalt, Beruf und Einnahmen zu verschwenden. An dieser Stelle leite ich gleich zu den Stärken den Buches über:
Stärken des Buchs:
Denn für mich erscheint es als Stärke, die üblichen Sorgen des Lebens beiseite zu lassen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Protagonistin Juliette lernt dies im Laufe des Romans. Sie zieht sich von der Welt zurück, verkriecht sich hinter der staubigen Existenz Solimans, der diesen Rückzug für sich perfektioniert hat.
Bis kurz vor Schluss erfahren Lesende nur wenig über den kauzigen Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen Bücher zu überbringen. Natürlich nur die richtigen und für jeden einzeln bestimmt. Dafür schickt er seine Kuriere aus, während er selbst sein “Büro” niemals verlässt. Er lebt in und zwischen den Büchern.
Wie er dort leben kann und das Leben für sich und seine Tochter Zaide finanziert, erfahren wir kaum. Ist aber auch nicht so wichtig. Alles wichtige spielt sich zwischen den Buchdeckeln ab. Hierin liegt das skurrile der Handlung. Sein Alltag erscheint vollkommen normal.
Niedlichkeit & Creepyness
Auch die Kuriere, zu denen Juliette irgendwann auch gehört, die in der Metro ihren “Opfern” auflauern, Menschen so lange beobachten, bis sie zu wissen glauben, welches Buch zu ihnen passt. Während des Lesens ist es unglaublich niedlich und wirkt wie eine sehr wichtige Aufgabe. Doch legt man das Buch zur Seite, wirkt es eigentlich nur noch creepy.
Im Verlauf der Handlung wird auch deutlich, was Juliette von den anderen Kurieren abhebt: Sie findet einen Weg aus der eigenen Melancholie heraus. Sie nimmt die Bücher nicht als Ausrede oder Versteck, sondern nutzt sie als Chance, die Welt zu erkunden. Und das nicht nur in den Buchstaben.
Zusätzliche Tragik
Die Figuren gestaltet Christine Féret-Fleury bunt und abwechslungsreich. Vor allem die verschiedenen Altersgruppen sind mir aufgefallen. Das Buch betrachtet die Menschen zwischen jung und alt in verschiedenen Lebensabschnitten und Situationen. Es betrachtet die romantische Liebe im vergangenen, vermuteten und entgangenen Zustand nicht aber im vorhandenen.
Das gibt der Geschichte eine zusätzliche Tragik zur offensichtlichen (auf die ich aus Spoilergründen nicht weiter eingehe). Sie zeigt uns Möglichkeiten, die unterschiedlichen Menschen begegnen und gnadenlos vorüberziehen, wenn sie nicht genutzt werden. Die Protagonistin schaut sich dies eine Weile an, betrachtet ihre eigenen vertanen Chancen und ergreift die nächstbeste, die sich ihr ergibt und die sich gut anfühlt. Auch wenn sie damit nicht auf umfassendes Verständnis stößt.
Schwächen des Buchs:
Das größte Hindernis in “Das Mädchen, das in der Metro las” war für mich tatsächlich die teilweise sperrige Sprache. An manchen Stellen hätte es nicht geschadet aus einem Satz zwei zu machen und auf einige Schachtelsätze zu verzichten. (Und ich steh auf Schachtelsätze!)
Mein Fazit zu “Das Mädchen, das in der Metro las”:
“Das Mädchen, das in der Metro las” hat mich positiv überrascht. Es ist ein stilles Juwel. Die Geschichte wird ohne große Aufregung erzählt, ist skurril und gemütlich und erfüllt für mich damit alle Kriterien, die eine besondere Geschichte braucht.
Darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit, noch längere Zeit zu dem Gelesenen zurückzukehren über die ein oder andere Stelle erneut nachzudenken. Eine ganz klare Leseempfehlung für alle, die beim Lesen etwas Geduld aufbringen mögen.
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Das Mädchen, das in der Metro las
Christine Féret-Fleury
erschienen bei DuMont Buchverlag
15. August 2019
Wiebke liest alles, was ihr interessant erscheint und nicht Horror ist. (Sonst kann Wiebke nicht schlafen.) Verschiedene Gattungen der Fantastik findet sie besonders häufig interessant und sie liebt den klassischen Krimi. Bilderbücher sind ihre große Leidenschaft und sie sammelt sie nicht nur für ihre Kinder. Einst studierte Wiebke Geschichte und Germanistik, allerdings störte sie das dazugehörige Lehramt irgendwann dermaßen, dass sie damit aufhörte und sich vorerst ausschließlich dem Schreiben eigener Bücher widmet.