Eingepanzert – Triceratops

Eingepanzert – Triceratops

Die Lebensdarstellung eines namenlosen Wir-Erzählers in Form von kurzen Erlebnisabsätzen, entscheidenden und stellvertretenden Erinnerungen, ohne Innensicht, aber mit so viel unsentimentalem Gefühl.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Workout.
  2. Einkaufen.
  3. Jack Daniels mit Cola.

Mein Eindruck zu „Triceratops”:

„Triceratops“ von Stephan Roiss ist anders, ist mehr, ist ein Buch, das ich für mich selbst erst einmal klären muss, während ich das hier schreibe. Ich suche nach einer Definition, aber finde nur immer wieder Faszination und Traurigkeit. Vielleicht hat es mich zu sehr berührt für eine sachliche Erörterung. Verschiedene Formen des Wortes „traurig“ werden immer wieder auftauchen.

Stärken des Buchs:

Was sofort auffällt, ist der Wir-Erzähler. „Triceratops“ von Stephan Roiss ist die bisher erste Geschichte mit Wir-Erzähler, die ich gelesen habe. Das ist spannend und ungewohnt. Gleichzeitig passt es ungemein gut. Das Wir schafft Abstand. Das Wir schützt den Erzähler wie der Schwarm einen einzelnen Fisch vor Raubfischen schützt. Das Wir gibt Stärke. Allein über diesen Aspekt nachzudenken, ist ungemein spannend.

Damit wären wir bei den Bildern, die aus der Kindheit des Wir-Erzählers stammen: Fische, die sich in Schwärmen schützen, der Schutzpanzer des Triceratops in Verbindung mit der Neurodermitis des Erzählers und die vielen Alarmsignale einer gefährdeten Kinder- und Jugendpsyche. Diese Mischung hat mich rein literarisch fasziniert und gleichzeitig einen seltsamen Beschützerinstinkt ausgelöst, der das Leseerlebnis intensiv und todtraurig gemacht hat.

Das wäre Punkt 3: Stephan Roiss hat von Anfang an selten mehr als eine Buchseite gebraucht, um mich emotional in die Geschichte zu ziehen. Manchmal brauche ich etwas Zeit, um zurückzufinden in Bücher, wenn ich sie am Tag zuvor weggelegt hatte. „Triceratops“ hat nach mir gegriffen und mich an sich gerissen. So sehr, dass ich wieder und wieder Traurigkeitsgänsehaut hatte.

„Triceratops“ ist ein feinfühliges Buch, „von großer poetischer Kraft“ heißt es im Klappentext, und dieses Feingefühl verlangt es den Leser*innen ebenfalls ab. „Triceratops“ ist voller Andeutungen und (Selbst)Beobachtungen, die man weiterdenken muss. Der Wir-Erzähler sagt nicht, welche die emotional schwierigsten Momente seiner Kindheit sind, sondern erklärt, dass er ständig weine – bei Hautabschürfungen, wenn er stolpert usw. –, aber niemals wenn …, und das war einer der Momente, an denen ich schlucken musste. Die Unfähigkeit zu weinen, wenn es wirklich nötig wäre, kennen vermutlich viele (Männer?). Man macht dicht und panzert sich ein. Auch brauchen die Leser*innen Feingefühl für die vielen Alarmsignale des Wir-Erzählers und anderer Figuren. Je mehr man erkennt, je feinfühliger man liest, je mehr man selbst Entsprechendes an sich und anderen erlebt hat, desto intensiver wirkt der Roman. Mich hat er mitgenommen. Sehr.

Schwächen des Buchs:

Es gab einige Stellen, an denen ich aus dem Lesefluss geraten bin. Das aber kann man unmöglich als Kritik verwenden, weil es jedes Mal am österreichischen Dialekt und Begriffen aus Lebenswelten gelegen hat, die ich niemals kennengelernt habe. Ich habe mein ganzes Leben in Dortmund verbracht und bin zwar als Kind gerodelt, aber habe nie jemanden „der Rodel“ sagen hören, ich kenne keinen Herrgottswinkel und kannte bisher keine Zillen. Wie gesagt, das ist eine Frage der Lebensumstände und nimmt „Triceratops“ nichts von seiner Qualität. Warum erwähne ich es dann? Einerseits hätte ich sonst nicht viel über Schwächen zu berichten und andererseits kenne ich Personen, die gerade bei österreichischen Sprachgewohnheiten empfindlich reagieren – was zwar etwas albern und nur ein komplett subjektives Problem ist, aber naja.

„Triceratops“ ist traurig. Von vorne bis hinten. Die einzigen Momente, an denen ich gelacht habe, waren eigentlich bittere Momente. Wenn der Pastor zwei Jugendliche fragt, warum sie Rollkragenpullover tragen, obwohl es besonders warm sei. Spoiler: Es liegt an Narben und Neurodermitis, du ahnungsloser Penner. So großartig die Darstellung in allen Punkten auch ist, sie ist so unglaublich deprimierend, dass man unmöglich immer Lust darauf haben kann. Hätte ich vorher gewusst, dass der Roman dermaßen traurig ist, hätte ich ihn vermutlich nicht gelesen. Deshalb überlege ich gerade, ob ich diese „Kritik“ wieder löschen soll. Das Buch gehört gelesen. Aber noch etwas anderes ist mit diesem Punkt verbunden: „Triceratops“ ist so dermaßen traurig, weil sich das ganze Buch um psychische Krankheiten und (Kindheits)Traumata dreht. Wer selbst damit zu kämpfen hat, sollte im Vorfeld informiert sein.

Mein Fazit zu Triceratops:

Stephan Roiss hat mit „Triceratops” das vermutlich traurigste Buch abgeliefert, das ich jemals gelesen habe. Es ist für mich außerdem eines der besten Bücher 2020. Hätte es den Deutschen Buchpreis gewonnen, ich hätte nicht protestiert.

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Triceratops

Stefan Roiss

Gegenwartsliteratur
Hardcover, 208 Seiten

erschienen bei Kremayr & Scheriau

17. August 2020

ISBN 978-3-218012294

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