Mehr Schnaps, weniger Nächte – Schnapsladennächte

Mehr Schnaps, weniger Nächte – Schnapsladennächte

Schnapsladennächte: Lucie arbeitet in einer Bar. Keine schicke Bar mit Neonröhren und bunten Getränken, sondern in einer mit dreckigen Fenstern und Flaschenbieer und toten Fliegen auf der Fensterbank. Zwangsläufig verbringt sie hier einen großen Teil ihrer Nächte, allein mit ihrem Chef, dem Kotzbrocken. Den Rest der Nächte und die anschließenden Tage widmet sie ihrem besten Freund, der mit einer Angsstörung zuhause sitzt und nicht mehr vor die Tür geht.

Zwischen wenig Schlaf, viel Alkohol und einer guten Portion Gefühlschaos fühlt sich Lucie zunehmend zu ihrem Chef hingezogen, was natürlich gar nicht geht und durch das allgemeine Leben wiederholt torpediert wird.

 

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. “Mama, wir müssen los.”
  2. “Mama, ich hab die Schuhe jetzt an.”
  3. “Mama, leg doch endlich das Buch weg!”

Mein Eindruck zu Schnapsladennächte:

Auf Schnapsladennächte stieß ich via Instagram. Das Cover von Schnapsladennächte gefiel mir gut und vom Titel versprach ich mir lange Nächte mit tiefsinnigen, meinetwegen auch weniger tiefsinnigen Gesprächen. Eine gute Prise Humor ließ sich ebenfalls erwarten, also alles in allem, erhoffte ich mir einen unterhaltsamen Liebesroman.

Und erhielt genau das – allerdings mit einem bitteren Nachgeschmack.

Stärken des Buchs:

Anna Gasthauser überzeugt durch einen flotten, humorvollen Schreibstil. Die leicht flapsige Erzählstimme passt zu beiden Perspektivfiguren, die jeweils den richtigen Ton treffen. Vor allem die Dialoge und Frotzeleien zwischen Chris und Lucie sind wesentliche Spannugsträger der Geschichte und führen zu einer gutem Mischung zwischen Humor und Gefühl.

Dem Impressum konnte ich nicht entnehmen, ob ein Lektorat stattgefunden hat. Einige klassische Schnitzer lassen vermuten, dass dem nicht so ist. Warum steht das bei Stärken? Weil es bei diesen Schnitzern bleibt, der Text besticht durch einen unheimlich flüssigen Stil, der an sich bereits sehr sicher wirkt. Damit will ich nicht sagen, dass ein Lektorat überflüssig wäre, denn ich bin über Stellen gestolpert, allerdings störten diese kaum. Hier also ein Lob an die Textsicherheit der Autorin.

Neben den schwungvollen Schlagabtauschen zwischen Chris und Lucie war es die Atmosphäre, die mich begeisterte. Das rotzige Kneipensetting gefällt mir persönlich sehr gut und beweist, dass die wichtigen Dinge des Lebens eben nicht auf hochglanzfolie stattfinden. Außerdem bietet es einen Anknüpfungspunkt für einen Großteil der Lesenden, denn ich denke, viele kennen mindestens eine Kneipe, die der “Bar der 1000 Sterne” ähnelt.

Ein weiterer Pluspunkt ist das langsame Tempo der Liebesgeschichte. Es ist keine “Hals-über-Kopf-dann-Drama-und-dann-erst-alles-gut-Liebegeschichte”, sondern es ist eigentlich von Anfang an klar, wer hier wen will und warum. Der Weg zum Ziel entspricht dem üblichen Geplänkel, das das Leben manchmal zu bieten hat. Berichtet wird abwechselnd aus Chris´und Lucies Perspektive. Das nimmt das grundsätzliche Rätsel, was der Andere wohl denken mag für die Leser*innen vorweg, trotzdem gelingt es der Geschichte über die zahlreichen Auf und Ab´s zu fesseln. Außerdem wird auf diese Weise ein aufgegriffen, was Chris zu seinem fiesen Verhalten antreibt, ohne diese Sichtweise würde seine Zuneigung wohl unglaubwürdig wirken.

Beziehungen und Charaktere

Lucies Verhältnis zu ihrem besten Freund Ted wird sehr intensiv geschildert. Es wirkt zunächst, als würde Lucie sich für ihn aufopfern. Da er die Wohnung auf Grund einer Angststörung nicht verlässt, übernimmt sie säntliche Einkäufe für ihn und verbringt einen Großteil ihrer Freizeit mit ihm. Umso stärker finde ich Lucies Standpunkt, zu ihm zu halten und ihn gegenüber Chris zu verteidigen, der in Ted einen verweichlichten Schwächling sehen will. Was sich zum Glück im Laufe der Handlung ebenfalls ändert. Es gab einen Punkt im Buch, da war ich mir nicht sicher, was ich von der Darstellung Teds halten sollte. Er wirkte kurz tatsächlich manipulativ und kontrollsüchtig, doch wird dies, wenn auch nur in einem Nebensatz und nicht ganz so lupenrein, aufgelöst. Am Ende der Geschichte war ich mit der Lösung auf jeden Fall zufrieden.

Soweit alles gut, jetzt komme ich an einen Punkt, wo ich nicht weiß, wie ich es geschickt darstellen soll. Eigentich müsste ich jetzt zu den Schwächen übergehen, allerdings müsste ich dann anschließend wieder zu den Stärken springen. Ich beschreibe daher jetzt einige Schwächen, werde aber kurz darauf erläutern, wie sich diese, in Teilen zumindest, wieder ausgleichen.

Jetzt möchte ich doch noch einen Punkt ausführen: Die Geschichte verfügt über eine rundum schöne und gelungene Szene, in der die Autorin beweist, was eigentlich in ihren Figuren steckt. Um Spoiler zu vermeiden, nenne ich es hier einen Campingausflug. Eine Idee von Chris, die zwar dazu dient, Zeit und Nähe mit Lucie zu gewinnen, aber bei deren Umsetzung seine oberflächliche Wahrnehmung und das teils übergriffige Verhalten ausbleiben. Es wird ein gutes Verhältnis zwischen körperlicher Anziehung und dem ehrlichen Wunsch, mehr über den Anderen zu erfahren gefunden. Außerdem stellt die Szene eine hübsche Lösung dar, um Lucie aus ihrer chronischen Übermüdung zu retten. Also alles in allem eine runde Sache.

Schwächen des Buchs:

Chris mag Lucie, fühlt sich deutlich zu ihr hingezogen und weiß offensichtlich nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Also wird er zum Kotzbrocken. (Die Logik dahinter wird sich mir nie erschließen, aber es gibt tatsächlich solche Menschen, daher bin ich bereit, darüber hinwegzusehen.)

ABER: Er nimmt Lucie zu Beginn der Handlung von Schnapsladennächte fast ausschließlich über ihre körperlichen Vorzüge wahr. Seine Sprüche übertreten die Grenze zum professionellen Geschaftsverhältnis bereits, bevor klar ist, dass eine beidseitige Anziehung vorliegt, Klaps auf den Po inbegriffen. Gerade Letzteres wäre doch eher ein Grund zur sofortigen Kündigung, zumal er ihr auch noch den Urlaub verweigert. Unterdrückte Gefühle hin oder her, ist das eine Situation, in der für mich die Romantik aufhört. Es finden sich weitere Szenen, in denen Lucie teils sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist, sie jdoch eher bagatellartig abtut. Hier wäre ich vielleicht bereit, das einer gewissen Abstumpfung zuzuschreiben, weil sie eben in einer Kneipe arbeitet. Dennoch ist es schade, dass es nicht weiter differenziert wird.

Leere Versprechungen

Es wird angedeutet, dass Lucie und Chris in den späten, kundenlosen Stunden in der Bar Gespräche führen, leider gibt es die aber kaum zu lesen. Daher kann es also sein, dass Lucie gute Gründe hat, warum sie Chris´ unmögliches Verhalten und seinen Kontrollwahn toleriert, doch werden sie den Leser*innen vorenthalten. Es liest sich teilweise, als würden diese eigentlich sehr interessanten Passagen, bewusst ausgeblendet. Beispielsweise wird ein Schwimmbadbesuch aus Chris´ Perspektive geschildert, teilweise grenzwertig, aber an sich eine schöne Idee. Die Situation führt dazu, dass beide mitten in der Nacht einen weiten Fußmarsch zurücklegen müssen – und der wird ausgelassen! Hier hätte sich sicherlich eine gute Möglichkeit finden lassen, die eher flache Darstellung von Chris´ Charakter auszugleichen.

Ich kann für mich persönlich für Schnapsladennächte zusammenfassen, dass ein Diskobesuch hätte wegfallen können, wenn dafür etwas mehr über die Beziehung der verraten worden wäre, bevor sie sich ihrer gegenseitigen Anziehung bewusst waren. Denn, hier müsste ich eigentlich wieder nach oben zu den Stärken springen, im späteren Verlauf der Geschichte klappt das auf einmal. Chris gibt sich ehrlich Mühe, hat eine schöne romantische Idee nach der anderen und die beiden führen Gespräche, in denen er Lucie ernstnimmt. Mir ist bewusst, dass das als Teil der Figurenentwicklung gedacht ist, aber warum muss er denn gleich als oberflächliches Vollarschloch starten? Das macht seine Entwicklung leider etwas unglaubwürdig und lässt Lucie auch nicht besonders klug dastehen.

Mein Fazit zu Schnapsladennächte:

Schnapsladennächte ist ein lockerer Liebesroman für kalte Regentage, die nach einer Tasse Tee und Schokolade verlangen. Die Handlung unterhält, fesselt und macht Spaß, macht aber deutlich Abstriche in der Figurentiefe. Ich möchte dem Buch unbedingt 4, wenn nicht sogar 4,5 Sterne geben, weil ich die Idee so gut finde, die Figuren in den Grundzügen mag und das Potenzial im Buch sehe, aber leider reicht es auf Grund der oben genannten Schwächen nur für 3 Sterne.

Willst du mehr von Wiebke lesen? Hier gelangst du auf ihre Rezensentinnen-Seite!



Schnapsladennächte

Anna Gasthauser

Liebesroman
Softcover, 292 Seiten

erschienen bei Books on Demand

01. April 2020

ISBN 978-3-752877069

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