Jedes Ende ist ein Neuanfang – Alle diese Welten [Rezension]

Jedes Ende ist ein Neuanfang – Alle diese Welten [Rezension]

Alle diese Welten führt die vielen offenen Handlungsstränke aus “Wir sind Götter” zum Ende. Es geht um die Paven, die vor den Anderen geschützt werden müssen, um die Deltaner, die sich endlich zu einer stabilen, nicht vor dem Aussterben bedrohten steinzeitlichen Zivilisation entwickeln sollen, die Menschen, die einfach versuchen sollen, sich selbst nicht umzubringen, und um Medeiros. Alle diese Welten liegen den Bobs am Herzen. Sie führen ihr Weltraum-Management geschickt fort und versuchen dabei natürlich, sich selbst weiterzuentwickeln und ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Am Buch gerochen (sooo gut!)
  2. Meine Zitate katalogisiert
  3. 4 Bücher in meine Reisetasche gepackt

Mein Eindruck zu Alle diese Welten:

Alle diese Welten* ist ein würdiger, aber kein perfekter Abschluss der Bobiverse-Trilogie. Ich hätte ihm gerne fünf Sterne gegeben, hatte sie zu Beginn dieser Rezension auch schon eingestellt, aber es gibt leider zu viel zu meckern. Meckern tue ich dabei nur auf hohem Niveau: Auf dem Niveau eines Fans, der sich mehr wünscht und lebhaft mitfühlt, zugleich sogar davon überzeugt ist, dass die Bobiverse-Trilogie eines Tages Realität wird.

Der Wert von Leben sowie der Wert der Menschheit wird nicht aktiv behandelt, ist aber ein Subtext, der mich aus diesem Buch angebrüllt hat – auf das und vieles Weitere möchte ich in dieser Rezension eingehen, denn Alle diese Welten ist ein lesenswertes starkes Stück.

Alle diese Welten von Dennis E. Taylor. Foto: Kia Kahawa
Alle diese Welten von Dennis E. Taylor. Foto: Kia Kahawa

Stärken des Buchs:

Alle diese Welten zeigt, warum die Spezies Mensch verachtenswert ist. Sie stehen auf Hierarchien, auf Strukturen, auf Macht und ähnliche Sinnlosigkeiten. Auf einem neuen Planeten leben sie auf Matten, die im Wasser schwimmen. Gefährliche Raubtiere leben im Wasser und in der Luft. Die Bobs konstruieren fliegende Städte, die sie schützen sollen. Was passiert? Natürlich gibt’s Streit und Intrigen, weil diese beschissenen Menschen eine Regierung und Autorisierung und Steuern wollen, es kann ja nicht sein, dass jeder das Recht hat, in einer fliegenden Stadt geschützt zu leben. Runter mit den armen Leuten, bringt sie in prekäre, lebensbedrohliche Situationen, sie müssen sich erst an uns verkaufen, damit wir reich werden! Ekelhaft.

Nicht nur das, sondern auch die Eigenheiten unterschiedlicher Spezies, die Weiterentwicklung der Paven und Deltaner, der Anderen und vieler weiterer Welten zeigt dieses Buch auf. Ich bleibe dabei: Es liest sich wie die Bibel der Zukunft. Ich glaube weiterhin daran, dass all diese Ereigniss genau so oder ähnlich geschehen können, werden und müssen. Das erfüllt, bestürzt und unterhält mich gleichermaßen.

Ein Spiegel für die Menschen

“Das Internet hatte sich in den letzten zwei Jahrhunderten nicht sehr verändert. […] Offensichtlich waren Narzissmus und Voyeurismus nicht ausgestorben.”, Seite 52

In Alle diese Welten lernt man so viel über die Menschen (und andere Spezies anderer Sternsysteme). Die Bobs gehen einen Schritt weiter: Sie treten in Form lebensechter Androiden auf de Planeten auf und mischen sich zum Teil unters Volk. Der Lebenswunsch des Ursprünglichen Bobs vereint sich hierbei mit der Liebe von Howard zu seiner Bridget und der Bindung zwischen Bob und Archimedes.

Insgesamt schüttelt sich das gesellschaftliche Leben der Bobs einmal durch und lenkt sie zum Teil von der KI in der Raumsonde zurück zu einem Körper, der sogar duschen muss und Speisen vertilgen kann, Miete zahlt und mit einer echten Frau zusammenlebt. (Übrigens: Auf Seite 138 wird die Frage beantwortet, die wohl jeder zu Howards Androiden hat.)

Das Ganze zeigt dieser grandiose Roman mit gewohnt herrlichem Schreibstil, einer Dramaturgie und Spannung, die mich mehr als in Band 2 am Buch festhält und vielen weiteren Geschichten und Ereignissen, die mich sagen lassen: Ich habe in dieser Rezension keine 0,8 % der Geschichte gespoilert. Es ist viel, viel mehr!

Es sind nur Lebewesen.

Die Bobs haben sich weiterentwickelt. Sie haben gesehen, wie Kurzlebige sterben und wissen, was es braucht, um eine Zivilisation aufzubauen: Generationen.

Die Bobs werden aber nicht kaltherzig, sie sind weiterhin gutmütig und ethisch auf der richtigen Seite. Doch sie müssen moralische Entscheidungen treffen, die zum Teil über das Leben einiger Menschen, das Leben einer vollständigen Spezies und den Wert eines Sonnensystems im Vergleich zum Leben eines unsterblichen Bob-Klons bestimmen.

Ich meine, was sollen die Bobs tun? Die Anderen rauben Planeten aus, töten alles, was lebt und dekonstruieren ohne Ausnahme alles, was ihnen brauchbar erscheint. Aus Sicht der Anderen gibt es keine Lebewesen, es gibt nur sie – und “Nahrung”. Dazu sind die Anderen leider fast unbesiegbar, sie sind in einem Zeitalter und Entwicklungsstatus, das den Menschen im Jahr 2200+ noch weit voraus ist. Vernichten die Bobs also die gesamte Spezies, um alle anderen Spezies zu schützen? Können sie das aushalten, oder werden sie doch zu psychotischen Replikanten?

In “Alle diese Welten” gibt es so viele offene Fragen, die mich fertig machen würden, hätte Dennis E. Taylor sie im Laufe der Geschichte nicht geklärt. Eindrucksvoll bleibt bei mir die bittere Frage nach dem Wert des Lebens. Auf der einen Seite beobachtet Bob seinen Archimedes auf Delta Eridani gefühlt schon seit er Bill in Band 1 erschaffen hat, und Archimedes wird nicht jünger, ein Abschied scheint zu nahen. Und auf der anderen Seite sind da dann die Anderen, eine hochintelligente Spezies, für die das Universum nicht groß genug scheint.

Schwächen des Buchs:

An einigen Stellen war es wieder einmal schwer, dem Bobiverse wirklich zu folgen. Die Jahreszahlen sind natürlich nicht chronologisch, und ich versuchte beim Lesen immer wieder, mich zu erinnern, auf welchem Planeten es welches Jahr war und ob ich irgendwo etwas darüber gelesen habe, wie viele Tage ein Jahr dort überhaupt hat.

Einige Bobs kommen viel zu kurz. In Alle diese Welten geht es gewissermaßen um eine Peer Group aus Haupt-Bobs und gefolgsamen neuen Bobs, deren Charakterentwicklung zu wünschen übrig lässt. Es gibt welche, deren Existenzzweck nur ist, sich im Krieg gegen die Anderen zu opfern, und da gibt es keinen Widerstand, keine Gefühle, nichts.

Was ist mit den Bobs los? Sie funktionieren einfach. Sie haben alle unterschiedliche Charaktere, aber sie sind allesamt unermüdlich, arbeitsam und zum Ende der Geschichte sichtlich genervt von den Menschen. Logisch. Aber gibt es denn niemanden unter Dutzenden von Replikanten, der psychotisch wird? Der sich bewusst wird, dass er ewig lebt? Der um seine toten Eltern, Schwestern, Neffen und Nichten, Großneffen und Nichten (…) trauert? Ein Bob, der sich überlegt, wo der Körper des Ursprünglichen Bobs eigentlich liegt und verwest? Der durchdreht beim Gedanken, wie der Planet Erde früher ausgesehen hat und was möglich gewesen wäre, wäre die Spezies Mensch nicht so abgrundtief scheiße?

Das hat mir etwas gefehlt. Das Buch liest sich wie ein sehr gut geschriebenes Arbeitsprotokoll mit Dramaturgie und Fiktion, aber es gibt gefühlt immer die gleiche Geschwindigkeit, die gleichen Handlungsabläufe, die gleichen Lösungsversuche. Na klar, Bobs sind KI und die lösen alles innerhalb von Millisekunden, aber etwas hat gefehlt.

Gefehlt hat auch eine Fußnote. Ich würde super gerne die Überschrift für Kapitel 70 verstehen:

“Ikarus – Dezember 2265 bis April 2257”, Seite 352

Typische Heyne-Fehlerdichte: Am Ende muss es schnell gehen

Heyne hat mir auch mit diesem Buch meinen üblichen das-dass-Fehler nicht vorenthalten. Natürlich wurde in diesem Buch, so ist es Tradition im Hause Heyne, ab dem zweiten Drittel im Korrektorat geschlampt.

“Bill hat mir von dem versteckt angebrachten Gerät erzählt, dass auf Ihre Textnachricht hin die Stasiskammer zerstört […] hat.”, Seite 219

“Denk doch nur an das Video, dass Mario von seiner Entdeckung in Beta Hydri gemacht hat.”, Seite 223

Aber Heyne hat noch mehr Fehlerchen zu bieten. Wir befinden uns weiterhin in den frühen 200er Seiten. Ich denke, das macht die Fehlerdichte des letzten Drittels deutlich (und ich muss nicht auf jedem der vielen Fehler rumreiten):

“Um mich herum spielten Kindern, Paare gingen Hand in Hand spazieren, und die Leute erledigten ihre Jobs […]”, Seite 226

Offene Fragen zum Ende:

Wie immer in der Bobiverse-Trilogie gehe ich auf die offenen Fragen ein, die bei meiner Rezension zu Band 2 “Wir sind Götter” und aus Band 1, “Ich bin viele“, noch nicht geklärt waren.

Ob die Menschen dumm genug sind, sich selbst umzubringen, ist im Grunde geklärt.

Ob sich irgendwo noch ein Medeiros verkrochen hat und den anstehenden Krieg zwischen den Bobs und den Anderen sabotiert, wird aufgeklärt.

Die Sache mit dem Australier hat sich irgendwie verlaufen und fehlt.

Die Deltaner waren zentraler Bestandteil von Alle diese Welten. Alles rund um die Anderen und den Wert des Lebens ist zu meiner Zufriedenheit abgearbeitet, aber ich hätte auch gerne noch Band 4, 5, 6 und 438 gelesen.

Das Risiko der Psychose bei weiteren menschlichen Replikanten aus Band 1 wurde völlig ignoriert. Schade!

Bills Idee wurde nicht direkt aufgedeckt, aber ich nehme an, es waren die Androiden.

Ja, es gibt eine Liebesgeschichte, die eigentlich sehr schön sein soll, aber ich finde sie bitter.

Mein Fazit:

Kauft Ich bin viele.
Kauft Wir sind Götter.
Kauft Alle diese Welten.

Ich liebe es. Ihr werdet es lieben. Ich hoffe, nach Bobiverse und Scythe wieder eine gute Trilogie zum Mitfiebern zu finden.

Du willst mehr von Kia lesen? Hier kommst du zu all ihren Rezensionen.



Alle diese Welten

Dennis E. Taylor

Science Fiction
Softcover, 384 Seiten

erschienen bei Heyne

10. Juni 2019

ISBN 978-3-453319325


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