DO NOT TELEPORT! – Der Zwillingseffekt [Rezension]

DO NOT TELEPORT! – Der Zwillingseffekt [Rezension]

New York. 2147. Joel Byrams will eigentlich nur zu seiner Frau teleportieren. In ihre Lieblingsbar. Tut er auch. Sie wollen ihre Beziehung retten und nach Costa Rica. Das tut der überarbeiteten Sylvia bestimmt gut, und auch der Salter Joel Byrams, der hauptberuflich künstliche Intelligenzen mit Humor füttert, kratzt ein paar Chits zusammen, um sich nach Costa Rica zu teleportieren. Leider kommt eine Gehinnomitin, ein Gegner der Teleportation, und sprengt sich in die Luft, während Joel am Teleportieren ist. Die Folge: In Costa Rica kommt ein Joel an. Der echte Joel hingegen bleibt in New York zurück. Dort wird er plötzlich von International Transport und anderen Gruppierungen und Unternehmen gejagt: Denn er ist der einzige Mensch, der sich selbst geklont hat. Und das alles auch noch ohne Kom (d.h. ohne Pass, Internetzugang, Kommunikationsmöglichkeit und Identität).

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Total aufgekratzt auf eine Fortsetzung gehofft
  2. Über Cliffhanger am Ende eines Romans nachgedacht und wie schwierig das umzusetzen ist, ohne die Leser zu verärgern
  3. Erfahren, dass Der Zwillingseffekt verfilmt wird und gehyped rumgeschrien

Mein Eindruck zu Der Zwillingseffekt:

Ich war während des Lesens zwischendurch begeisterter, als ich es jetzt bin. Das zeigt sich auch an meiner Lesegeschwindigkeit. Manchmal las ich bis zu siebzig Seiten an einem Tag, manchmal waren es nur zehn bis zwanzig. Der Einstieg macht extrem Spaß, die Fußnoten sind etwas für echte Nerds und machen die Geschichte rund, ohne unentbehrlich zu sein, aber die ganzen Unternehmensverstrickungen werden ziemlich kompliziert. Dafür wird das physikalische Problem, das beim Teleport-Unfall geschah, ständig wiedergekauft, damit der Leser es endlich versteht. Hier spielt der Roman leider gegen meine persönliche Schwäche.

Stärken des Buchs:

Der Zwillingseffekt* ist als Bericht geschrieben, der im Jahr 2147 an einen Leser aus der Zukunft adressiert ist. Das erklärt authentisch, warum der Protagonist erklärt, wie man sich ein Glas Wasser ausdrucken kann, was mit dem Punch Puffer ist und wie ein Kom funktioniet. Der Punch Puffer ist die Zwischenspeicherung eines Menschen, der teleportiert wird. Im Grunde funktioniert Teleportation so: Das Subjekt wird am Ausgangsort gescannt. Am Zielort gedruckt. Dann wird es am Ausgangsort klarifiziert, also gelöscht. Das bedeutet, dass ein Mensch beim Teleportieren etwa für vier Sekunden geklont ist. Dass durch einen Unfall der Klon Joel² entsteht, indem ein Defekt meldet, am Zielort sei die Kopie nicht angekommen, sodss das Original nach den vier Sekunden nicht klarifiziert wird, ist schlüssig. Und auch sonst ist alles für mich schlüssig gewesen: Die Motivationen von Sylvia, Joel, Taraval, Pema, International Transport und den Gehinnomiten. Auch das Innenleben von Joel², der nunmal ein ungeliebter Klon ist und im Laufe des Buches unweigerlich erfährt, dass er die Kopie, also der “Zweite” ist, kommt sehr authentisch daher.

Joel und Joel² begegnen sich im Laufe des Buches. Das muss aber auch so sein. Wäre es nicht so gewesen, wäre ich enttäuscht gewesen! Ich finde es extrem realistisch, wie sehr sich die beiden Charaktere voneinander unterscheiden, nur weil sie ein paar Tage voneinander getrennt verbracht haben. Joel ist eine Hetzjagd und Gewalt widerfahren, Joel² hat mit seiner Frau die Tage auf Costa Rica verbracht und sich eine schöne Zeit gemacht, bis Sylvia mit der Sprache rausrückte. Auch die Beziehung von Joel² und Joel zu deren Frau (Der Erzähler-Joel nennt sie irgendwann wirklich ‘unsere Frau’) ist verändert. Mann, ich will nicht in Sylvias Haut stecken!

Authentizität, Humor und die Welt

Sylvia selbst war mir am Anfang sehr unsympatisch. Sie kam mir lieblos und arbeitssüchtig vor. Warum Joel seine Beziehung zu dieser Frau retten wollte, erschloss sich mir nicht. Aber dadurch, wie Sylvia und Joel später interagieren, wird dem Leser bewusst, warum die Beziehung rettenswert ist: Weil sie früher einmal stark und liebevoll war. Ein absolut authentisches Beziehungskonstrukt. So wie alles in “Der Zwillingseffekt” konnte ich alles nachvollziehen, auch wenn es mich manchmal etwas mehr Konzentration gekostet hat, als es mir lieb war.

Neben der ganzen Authentizität und Logik und Schlüssigkeit möchte ich den Humor von Tal M. Klein loben. In seinem Debüt gibt er dem Protagonisten eine Stimme, die genau meinen Humor trifft. Hach, gerade wollte ich den Übersetzer für seinen Schreibstil loben, aber im Buch steht nur: “Übersetzung: Wilhelm Heyne Verlag, München”. Menno! Alles in allem sehr gelungen und toll zu lesen.

Warum die Welt in 2147 utopisch gestaltet ist? Nun, unter anderem wegen der Mücken. Ja, du hast richtig gelesen. Die Mücken sind total genial. Stell dir vor, es gibt andauernd einen Regenbogen am Himmel, weil es ununterbrochen regnet. Und dabei ist es warm. Ist doch nett, oder? Damit kann man leben, wenn man dafür in einer Stadt wie New York klare Luft hat und nicht von Abgasen verpestet wird. Nun, das liegt daran, dass man Mücken genetisch so angepasst hat, dass sie Abgase zu frischer Luft und Wasser umwandeln. Statt blutsaugende Nervensägen zu sein, reinigen sie also die Luft und versorgen die Menschen am Boden mit Mückenpisse, die aus reinem Wasser besteht. Da macht es einen beim Lesen ganz schön melancholisch, als eine Mücke auf Joels Hand landet und gar nicht weiß, was sie dort eigentlich will. Ihr Instinkt hat es ihr gesagt, aber sie hat ihre eigentliche Bestimmung vergessen.

Buchcover von Der Zwillingseffekt, Foto: Kia Kahawa
Der Zwillingseffekt, Foto: Kia Kahawa

Schwächen des Buchs:

Die größte Schwäche, die leider auch in die Wertung reinkommt und Tal M Kleins Debütroman keine fünf Sterne verleihen kann, ist die Wiederholung. Ich kam nicht damit zurecht. A erklärt B, wie das mit dem Punch Puffer und dem Gletscher funktioniert und welches Problem es beim Teleportieren gibt. B erklärt es C. A erklärt es aber auch D, und D spricht nochmal ausführlich mit E darüber. Ich habe um die Stellen A und B schon alles verstanden, fühlte mich bei C und D gelangweilt und habe bei E alles in Frage gestellt und hinterfragt, warum der Autor das so oft im Buch wiederkaut. Habe ich etwas übersehen? Hat er Kleinigkeiten in der Erklär-Logik verändert? Lese ich unaufmerksam und habe etwas verpasst oder übersehen?

Dazu wurden dann die unternehmerischen Verstrickungen etwas zu schnell für meinen Geschmack abgewickelt. Ich habe schnell den Überblick verloren: Wer hat welche Ziele? Warum hat Pema so gearbeitet? Wer hat denn jetzt nun was vorausgplant und in wessen Spiel sind Joel, Joel² und Sylvia denn nun die Schachfiguren? Ich bin auch im Nachhinein nicht sicher, ob ich das Buch wirklich so verstanden habe wie es gemeint war, aber das, was ich glaube, verstanden zu haben, hat mich zufriedengestellt.

Mein Fazit zu Der Zwillingseffekt:

Würdest du dich teleportieren, wenn du bei jedem Teleport getötet und neu ausgedruckt werden würdest? Nichts anderes ist Teleportation nämlich. Atome werden zunichte gemacht und an anderer Stelle wieder exakt so aufgebaut. So exakt, dass du dein Bewusstsein behältst (… oder ein neues Bewusstsein hast und einfach nur Erinnerungen hast, sodass du glaubst, du hättest dein Bewusstsein und kein neues?) und exakt die gleiche Person bleibst? Würdest du dir Sorgen machen, wenn beim Teleportieren immer ein paar Gramm verschwinden und niemand weiß, ob das Paketverluste sind, oder vielleicht die menschliche Seele, die entschwindet, weil du unter’m Strich ja dann doch stirbst?

Ich glaube, die Gewalt dieser Fragen ersetzt mein Fazit an dieser Stelle. Lies’ den Zwillingseffekt*, wenn du mit den Schwächen zurechtkommst. Es wird sich lohnen!

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Der Zwillingseffekt

Tal M. Klein

Science Fiction Utopie
Softcover, 416 Seiten

erschienen bei Heyne

10. April 2018

ISBN 978-3-453319288
14,99 € bei Amazon*

 

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