Keine Gute-Nacht-Lektüre – Die Nickel Boys

Keine Gute-Nacht-Lektüre – Die Nickel Boys

Amerika, 60er Jahre: Der junge Elwood wird aufgrund seiner Hautfarbe zu Unrecht beschuldigt, ein Auto gestohlen zu haben. Als Strafe kommt er in die Nickel-Jugendstrafanstalt, deren Motto Besserung durch Arbeit ist. Aber nicht nur harte Arbeit erwartet ihn hinter den Mauern der Academy, sondern eine Welt aus Gewalt und Rassismus, Missbrauch und Zorn. Nach einer wahren Geschichte.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Die Website der White House Boys besucht, und einige ihrer Geschichten gelesen
  2. Mir erst einmal eine Tasse Tee gemacht.
  3. Den Trailer der Serie Underground Railroad (nach einem Buch desselben Autors) angeschaut.

Mein Eindruck zu „Die Nickel Boys“:

Wer eine flauschige Gute-Nacht-Lektüre sucht, ist bei „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead bestimmt falsch. Es ist ein harter Roman, ein brutaler Roman, auch ein aufrüttelnder Roman über Rassismus und soziale Abgründe, der nicht nur ein Sittenbild Amerikas in den 60er Jahren zeichnet, sondern genauso Relevanz für die heutige Zeit hat. Wer jetzt Angst hat, dass das Buch durch seine Schwere nicht lesbar ist, den kann ich beruhigen: So ist es nicht – im Gegenteil.

Stärken des Buchs:

Colson Whitehead schafft es meisterhaft, historische Tatsachen und grauenhafte Passagen der amerikanischen Geschichte zu einem echten Roman zu verweben, der alles hat, was man sich von einem Roman wünscht. Er ist spannend geschrieben, arbeitet einzelne Charaktere hervorragend heraus und behält trotz allem stets eine schöne Sprache bei.

Die historischen Gegebenheiten werden nicht wie sonst oft einfach hingeknallt, sondern liebevoll in die einzelnen Kapitel eingearbeitet, sodass man nicht nur einen Eindruck von den verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten erhält, sondern auch richtig die Atmosphäre durchspürt (so schrecklich sie auch sein mag). Die Auseinandersetzung mit der fremden und eigenen (also „weißen“) rassistischen Vergangenheit und Gegenwart wird dem Leser/der Leserin dadurch nicht aufgezwungen, regt aber natürlich zum Nachdenken an und macht einem vielleicht einige Dinge klar, über die man so genau bisher nicht bescheid wusste.

Gerade die amerikanische Rassentrennung und deren Ausmaße werden detailliert umrissen, auf der anderen Seite bleibt der Roman aber immer auf der menschlichen Seite und konzentriert sich auf persönliche Abgründe und Motivationen, sodass die Gefühle und Handlungen der agierenden Personen nachvollziehbar bleiben und das Ganze nicht ins sachbuchhafte abdriftet.

Dies alles hätte den Roman schon zu einem wertvollen Stück Gegenwartsliteratur gemacht; besonders hervorzuheben ist aber auch noch die Erzähl-Art. Die verschiedenen Sichten, Überlegungen, Zeitebenen und vor allem das (überraschende) Ende sind so behutsam und gekonnt inszeniert, dass man dem Autor dafür nur Lob aussprechen kann!

Schwächen des Buchs:

Gerade diese Inszenierung der Innensichten, Ansichten und Zeitebenen macht das Buch allerdings auch ein bisschen verwirrend. Manchmal werden zu viele Charaktere eingeführt, man weiß nicht mehr genau, welcher der Nickel Jungs und Aufseher jetzt welcher ist. Wenn man sich allerdings einfach die wichtigsten merkt und den Rest ein bisschen „übersieht“, ist es auch nicht so wild.

Eine gute Portion Vorbildung in Sachen Geschichte des Amerikanischen Rassismus und auch in Sachen Amerika der 60er Jahre hat, oder vielleicht sogar in dieser Zeit in Amerika gelebt hat, tut sich ebenfalls bestimmt leichter als ich mit meinem kümmerlichen Vorwissen. So blieben einige Andeutungen für mich ein bisschen zu vage und ich konnte mir unter manchen Dingen nicht so viel vorstellen wie jemand, der sich in der Thematik schon auskennt.

Mein Fazit zu den Nickel Boys:

Trotzdem war das Buch eine fesselnde und auch sehr lehrreiche Lektüre für mich, die mich bis zum Schluss begeistern konnte, und am Ende dann sogar nochmal eins draufgesetzt hat. Es ist diese Art von Ende, wo man nochmal an verschiedene Stellen zurückblättert, weil der Autor einen gerade gut 230 Seiten lang (absichtlich) über gewisse Dinge im Dunkeln gelassen hat und man ein bisschen empört und noch viel mehr begeistert ist, dass ihm das wirklich gelungen ist. Außerdem findet man auf den letzten Seiten einen Haufen weiterführende Informationen, die „Die Nickel Boys“ noch einmal eine Spur schwerer verdaulich, die Geschichte aber nocheinmal viel realer werden lassen.

Alles in allem daher eine großartig geschriebene, wenn auch harte Lektüre, über die sich jeder drübertrauen sollte. Mit wunderbarem Stil und leichten Verwirrungen vergebe ich daher begeisterte 4,5 von 5 Sternen!

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Die Nickel Boys

Colson Whitehead

Gegenwartsliteratur Historischer Roman
Softcover, 240 Seiten

erschienen bei btb Verlag

14. Dezember 2020

ISBN 978-3442770427

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