Grundsätzlich unlesbar – Grundsätzlich unvorbereitet

Grundsätzlich unlesbar – Grundsätzlich unvorbereitet

Milo Rau ist Regisseur, Filmemacher und Aktivist. In „Grundsätzlich unvorbereitet“ sind „99 Texte über Kunst und Gesellschaft“ zusammengetragen worden, die ursprünglich als Kolumnen in der Schweizer SonntagsZeitung erschienen waren. Die von 2014 bis 2021 geschriebenen Texte sollen einen chronologischen Einblick in die vermeintliche Genialität Raus geben. Leider halten die Texte nicht, was der Klappentext so hochtrabend verspricht.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Das Buch abgebrochen und in die Ecke gepfeffert
  2. Meine Notizen begutachtet
  3. Diese Rezension verfasst

Mein Eindruck zu „Grundsätzlich unvorbereitet“:

Als ich angefragt wurde, dieses Buch zu rezensieren, war ich wirklich angetan von der Beschreibung. Zugegeben, ich habe mich ein wenig geschämt, den laut Verlag „weltbekannten“ Milo Rau nicht zu kennen – aber das würde sich ja schnell ändern. Als ich das Inhaltsverzeichnis aufgeschlagen und gesehen habe, dass die Texte chronologisch, startend bei 2014, angeordnet sind, war meine Leselust schon getrübt. Ich habe mich tapfer bis 2017 durchgekämpft, dann nur noch sporadisch Texte aus dem hinteren Teil gelesen. Auch wenn die späteren Texte leichter zu ertragen waren, fehlte mir zu diesem Zeitpunkt bereits die Geduld.

Ich habe also nicht alle Texte gelesen und sollten sich dazwischen doch noch großartige Juwelen verbergen, verzeiht mir bitte die nachfolgende Kritik.

Stärken des Buchs:

Bei den Stärken von „Grundsätzlich unvorbereitet“ sind wir schnell durch. Positiv aufgefallen sind mir jedoch alle Texte, in denen es um die Klimakrise und um fehlende Empathie geht – leider sind das sehr wenige. Hier spürt man das Ausmaß der Katastrophe, das sich selbst in diesen kurzen 1,5 Seiten langen Texten so weit entfaltet, bis es einen regelrecht erstickt. Im positiven Sinne, denn genau dieses Gefühl brauchen wir, wenn wir darüber reden, dass unser Planet gerade stirbt – physisch wie psychisch, wenn man so will – und wir nichts tun, um es zu verhindern. Ich empfehle die Texte „Antigone im Amazonas“ und „Die Ruhe vor dem Untergang“.

Manche Texte greifen außerdem sehr interessante Ideen auf und hätten mit mehr Platz wirklich gut sein können, z.B. „Der Weltmarkt des Mitleids“.

Wäre man jetzt großzügig, könnte man Milo Rau auch zugute halten, dass er keine Angst davor zu haben scheint, unpopuläre Meinungen auszusprechen. Lassen wir das mal so stehen.

Schwächen des Buchs:

Die blasierte Sprache, in der die Texte verfasst sind, muss man mögen. Ich mag sie nicht. Es ist die Sprache eines pseudo-reflektierten weißen cis-Mannes, der sich besonders woke gibt, dabei aber ebenso arrogant ist wie diejenigen, die er krisiert. Und nein, es hilft nicht, dass er dabei auch eine gewisse Selbstironie einfließen lässt, manchmal. Okay, vielleicht hilft es ein bisschen. Aber rausreißen kann es das auch nicht mehr.

Dazu kommt noch die konstante Selbstbeweihräucherung, die von großen Preisen, großen Reisen, großen Jurymitgliedschaften erzählt – aber immer ganz nebenbei natürlich, nur damit man auch den Kontext versteht, ist klar. (Ich hoffe, ihr hört raus, wie ich beim Schreiben die Augen verdrehe.)

Vielleicht ist das aber auch einfach ein Problem der Textform: Alles wirkt in diesen Kolumnen wie von der Kanzel herabgepredigt. Sie sind nicht dazu gedacht, hintereinander gelesen zu werden, sondern bloß in kleinen Häppchen, maximal einmal pro Woche, sonst hält man diese zynischen, verbitterten Kommentare ohne jeglichen Handlungsspielraum oder Optimismus nicht aus. Aber man kann sich der Verdichtung in so einem Buch ja nicht erwehren. Wenn ich immer nur einen pro Woche lesen würde, wäre ich in einem Jahr noch nicht fertig mit den 99 Texten.

Vielleicht bin ich auch einfach nicht gebildet genug, doch ich finde fast alles an diesen Texten langweilig. Schon auf Seite 35 notiere ich mir: „Ist dieses Buch nur interessant, wenn man sich mit Milo Raus Opus auskennt?“ Die Antwort kann von mir leider maximal ein „Vielleicht“ sein, denn ich befinde mich nicht in der Position, alle seine Stücke und Filme gesehen zu haben. Mich nerven aber die ständigen Referenzen auf seine Stücke, denn er tut andauernd so als wüssten alle, wovon er spricht, wenn er nur den Namen eines von ihm inszenierten Theaterstücks nennt.

Und, ganz wichtig: Manche Dinge gehen einfach nicht, z.B. seine White Savior Anwandlungen oder auch der Text „Rhetorik der Retourkutsche“, in der eine Rhetorik-Strategie als „Weiser Indianer“ bezeichnet wird. Ich werde jetzt nicht ausführen, was daran alles problematisch ist, das wisst ihr bestimmt (oder „Sprache und Sein“ lesen). Und ja, ich weiß, manchmal kann politische Korrektheit nerven, aber fast immer ist sie aus gutem Grund da – und ein weißer cis-Mann sollte nicht derjenige sein, der aus seiner privilegierten Position heraus die Entscheidung trifft, was erlaubt ist und was nicht.

Woher ich weiß, dass der Autor privilegiert sein muss (abgesehen von seinen eigenen Angebereien)? In „Wie ein Trainer in der Provinz“ muss Milo Rau erst selbst mit Kindern arbeiten, um zu verstehen, dass das echte Arbeit ist, und dabei reden wir noch nicht mal von Care-Arbeit. Wenn das nicht (White) Privilege schreit, weiß ich auch nicht.

Fazit zu “Grundsätzlich unvorbereitet”

„Grundsätzlich unvorbereitet“ von Milo Rau ist ein Buch für Leute, die bereits seine Fans sind, aber definitiv nicht für jene, die es werden wollen.

Ja okay, man könnte jetzt sagen, die Gruber, die hat zu hohe Ansprüche an so einen Mann; das ist schon in Ordnung, wenn er sich versehentlich als White Savior positioniert oder sich noch nie mit Care-Arbeit beschäftigt hat. Er meint es ja nicht böse. Aber ganz ehrlich? Dann soll er gefälligst kein Buch schreiben, das ihn als politischen Künstler bezeichnet, „der immer wieder seine eigene Position und seine Privilegien hinterfragt.“

Sorry, Verbrecher Verlag – ich danke für das Rezensionsexemplar, aber für mich ist dieses Buch grundsätzlich unlesbar.

Für das ausgezeichnete Lektorat, Korrektorat und den Buchsatz sowie die Bemühungen, nachträglich alles zu gendern, gibt es trotzdem 1,5 Formalitätssterne und einen halben Stern für die paar guten Texte zwischendrin.

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Grundsätzlich unvorbereitet

Milo Rau

Biografisch
Broschur, 224 Seiten

erschienen beim Verbrecher-Verlag

08. März 2021

ISBN 978-3-957324757


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