Heile, kalte Welt – Winter

Heile, kalte Welt – Winter

Arthur nimmt eine fremde Frau mit zum Haus seiner Mutter, um dort Weihnachten zu feiern. Seine eigentliche Freundin, Charlotte, hat ihn verlassen und die Fremde, Lux, soll ihren Platz einnehmen, um das Bild der heilen Welt vor seiner Mutter zu wahren. Seine Mutter aber ist gerade anderweitig beschäftigt: Sie sieht seit neuestem einen Geist.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Mir „Frühling“ bestellt.
  2. Zähne geputzt.
  3. Mich unter die Decke gekuschelt.

Mein Eindruck zu „Winter“:

„Winter“ ist der zweite Teil des Jahreszeiten-Quartetts von Ali Smith. Wie ihr wisst, hat sie mich mit „Herbst“ völlig umgehauen, umso gespannter war ich auf ihre zweite Geschichte aus dem Zyklus, die mit der ersten inhaltlich in keinster Weise verwandt ist. Meine Erwartungen waren unglaublich hoch und – konnten, das kann ich euch gleich verraten, leider nicht ganz gehalten werden. Im Gegensatz zu „Herbst“ habe ich diesmal nicht wirklich einen Zugang gefunden, die Charaktere haben mich nicht erreicht und auch die gewohnte Sprachakrobatik, mit der Ali Smith mich jedes Mal aufs Neue fasziniert, war nicht wirklich präsent. Stattdessen blieb die Geschichte irgendwie fremdartig und ungreifbar, bisweilen sogar ein wenig langweilig. Trotzdem mochte ich es irgendwie, aber eine klassische Ali Smith war es nicht.

Winter von Ali Smith. Foto: M. D. Grand

Stärken des Buchs:

Was mir am Buch am besten gefallen hat war Ali Smiths Sprache. Wie auch bei ihren anderen Romanen und Kurzgeschichten schreibt sie einfach anders als andere Autoren. Sie verzichtet vollkommen auf Anführungszeichen bei der direkten Rede; Gedanken und Gesprochenes laufen nahtlos ineinander über. Mit ihren Worten malt sie Bilder und Landschaften, erschafft sie Charaktere und neue Denkwelten. Auch diesmal waren die Charaktere und ihre Denkwelten sehr präsent: der pseudokünstlerische Arthur, die kluge Fremde Lux, die spröde Sophia (Arthurs Mutter) und die verrückte Revoluzzerin Iris (Sophias Schwester). An ihnen kreiert Smith ein Bild verschiedener Jahrzehnte, lässt mühelos unterschiedliche Themen aus Politik und Kunst einfließen (diesmal vor allem Umweltschutz), und behält dabei doch immer die Haupthandlung im Blick. Ab und zu musste ich auch über den unterschwelligen Humor lachen.

Schwächen des Buchs:

Dennoch konnte Smith mit „Winter“ nicht ihre volle Stärke ausspielen. Die Charaktere bleiben bis auf Lux irgendwie unsympathisch, der Winter kommt nicht gut zur Geltung, Weihnachten wird zum Konstrukt degradiert. Die Politik konzentriert sich auf einen Protest, von dem ich bisher noch nie gehört habe, bleibt sehr vage in ihren Ansichten und erweckt damit auch nicht wirklich Emotion bei mir. Dass die Haupthandlung wirr ist, ist für Smith eigentlich kennzeichnend, diesmal aber schafft sie damit kein abstraktes Kunstwerk, sondern bleibt irgendwie lose und oberflächlich.

Mein Fazit:

Auch wenn einige Kapitel sehr gelungen waren und die Dynamik zwischen den Charakteren gut getroffen war, konnte Ali Smith mich mit „Winter“ diesmal nicht so packen. Trotzdem bleibt es ein kluges Buch, dem man die Intelligenz und Sprachgewalt der Autorin nicht absprechen kann. In die Riege meiner Lieblingsbücher schafft es der Titel aber diesmal nicht. Wenn ich Smith nicht bereits kennen und sie so schätzen würde, hätte es mich vermutlich gelangweilt. Aus diesem Grund gibt es diesmal nur 3,5 Sterne von möglichen 5, und hoffe, dass sie mit „Frühling“ wieder zu ihrer alten Größe zurückfindet. Wer allerdings „Herbst“ noch nicht gelesen hat, den soll diese Rezension auf keinen Fall abhalten, das zu tun: Meinen Liebesbrief an Ali Smith und 1000 gute Gründe, es zu lesen, findet ihr hier. Da die Geschichten nicht zusammenhängen, macht es auch nichts, wenn ihr bei dem einen Buch bleibt.

Du willst mehr von M. D. Grand lesen? Hier gelangst du zu all ihren Rezensionen.



Winter

Ali Smith

Gegenwartsliteratur
Hardcover, 320 Seiten

erschienen bei Luchterhand

02. November 2020

ISBN 978-3-630875798

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