Die Liebe in Zeiten der Spanischen Grippe – Der Junge, den es nicht gab

Die Liebe in Zeiten der Spanischen Grippe – Der Junge, den es nicht gab

In „Der Junge, den es nicht gab“ dreht sich alles um das Leben des 16-jährigen Homosexuellen Máni Steinn zwischen den Monaten Oktober und Dezember des Jahres 1918, in denen die Spanische Grippe Reykjavík heimsucht.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Eigene Geschichten überarbeitet.
  2. Start-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse geschaut.
  3. Workout.

Mein Eindruck zu “Der Junge, den es nicht gab”:

Wie viel darf ich verraten vom Werk, um öffentlich über „Der Junge, den es nicht gab“ von Sjón nachzudenken? Zunächst wollte ich einen Teil des Endes vorwegnehmen. Das gehört sich nicht, und doch hätte mir selbst die Information von Anfang an geholfen und mir Fragen möglicherweise beantwortet. Woher stammt die Mischung aus konstanter Bedrohung und Ruhe? Wie könnte es zu diesem ungemein sanften Blick auf einen Protagonisten gekommen sein, der doch nicht so außergewöhnlich zu sein scheint? Was könnten die Symbole, Personen und Ereignisse bedeuten? Denn dass sie etwas bedeuten, ist unübersehbar.

Ich lese diesen Roman und bin fasziniert und mitgenommen. Ständig tauchen Fragen auf, die erst nach der Lektüre, nach einem gelungenen Ende, beantwortet werden können, und dann auch nur lückenhaft und nach langem Nachdenken.

Stärken des Buchs:

Sjón ist ein Poet. Seine Sprache, die Bilder, Ideen und vor allem die Vermischung aus fantastischen und realen Elementen zeugen davon. Ich habe bisher kein einziges seiner Gedichte gelesen und bin dennoch davon überzeugt, dass sie gelungen sind.

Den Protagonisten Máni Steinn, „Moonstone“, wie ihn ein Geliebter einmal nennt, ist, wie oben erwähnt, mit einer erzählerischen Sanftheit umgeben, aus der der Erzähler ihn niemals entlässt. Selbst wenn er die meiste Zeit bloß „der Junge“ genannt wird, oder beschrieben wird, wie er für Geld fremden Männern einen bläst, verschwindet die Zärtlichkeit nicht. Es ist, als sollte nicht zugelassen werden, dass wir Máni schlecht im Bedächtnis behalten, nur weil er Schwächen und Fehler hat. Und wieder möchte ich das Ende vorwegnehmen, um eine Erklärung zu bieten, aber ich lasse es.

Neulich habe ich in der LitWis-Bubble von Twitter gelesen, dass das Lob für gute Recherche das Lob für eine ausgefallene Fantasie abgelöst hätte. Das halte ich nicht für falsch. Auch bei „Der Junge, den es nicht gab“ könnte man die Recherchearbeit loben. Die Darstellung der Spanischen Grippe, der Verhältnisse in Reykjavík 1918 und der allgemeinen Lebensumstände ist zweifelsohne gelungen. Liest man den Roman als historischen Roman, kann man nicht verlieren. Jedoch muss man auch die Fantasie des Autors loben, der das Historische verbindet mit fantastischen Elementen, die nur einer herausragenden Fantasie entstammen können. Stellt er beispielsweise Fieberträume dar, wirkt alles frei und gleichzeitig interpretierbar, wie echte Träume. Sie ergeben auf schöne Weise Sinn.

Schwächen des Buchs:

Das Ende von „Der Junge, den es nicht gab“ hat mir dermaßen gut gefallen, dass es den Eindruck hinterlässt, sämtliche Schwächen seien unwichtig und zu vernachlässigen. Aber ich erinnere mich sehr wohl an das permanente Gefühl, dass mir irgendetwas fehlen würde, während ich den Roman gelesen habe.

Der rote Faden dieser Rezension ist mein Wunsch, das Ende zu verraten und von diesem Ende aus den Text (für mich?) zu klären. Ich vermute stark, dass es genau die Information, die erst im letzten Satz gegeben wird, ist, die mir beim Lesen fehlte. Jetzt kann sich das beschriebene Gefühl je nach Leser*in entweder in Unruhe und Unlust übersetzen, oder aber in Spannung und Neugier.

Keine Schwäche, aber eine Information, die für manche Leser*innen möglicherweise von Bedeutung ist, wäre, dass es explizite Sexszenen gibt. Mich hat es nicht gestört. Aber wenn man andenkt, „Der Junge, den es nicht gab“ an junge Personen zu verschenken, sollte man es vorher mal durchgehen. Andererseits: Was weiß ich von Erziehung?

Mein Fazit zu “der Junge, den es nicht gab”:

Sjón hat mich nach „Schattenfuchs“ nun zum zweiten Mal überzeugt, wenn auch im Fall von „Der Junge, den es nicht gab“ mit weniger Vehemenz und ein wenig zeitverzögert. Es wird ab jetzt das erste Buch sein, das ich nenne, wenn mal wieder nach Romanen mit LGBTQ+-Protagonist*innen gefragt wird. Aber es wird nicht das erste Buch sein, das ich als Lektüre von Sjón empfehlen würde, denn das bleibt eindeutig „Schattenfuchs“.

Du willst mehr von Matthias lesen? Hier gelangst du zu seinen Rezensionen.



Der Junge, den es nicht gab

Sjón

historischer Roman
Hardcover, 160 Seiten

erschienen bei S. Fischer

23. April 2015

ISBN 978-3-100022394

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