Ungelüftete Geheimnisse – Wir Gotteskinder
Maya wächst als Nachfahrin des Königs von Ghana in Deutschland auf. Ihre wahre Heimat ist aber Ghana, wohin sie eines Tages zurückkehren wird. Zuerst gilt es aber, zusammen mit ihrem Cousin Kojo die alten Geschichten wieder ins Lot zu bringen und eine neue politische Ordnung zu schaffen. Eine Aufgabe, der ein einzelner Mensch alleine nicht gewachsen ist.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Mit einer Freundin telefoniert.
- Mir einen neuen Kaffee gekocht.
- Diese Rezension verfasst.
Mein Eindruck zu „Wir Gotteskinder“:
Ich wollte „Wir Gotteskinder“ von Nana Oforiatta Ayim ja wirklich mögen. Die Leseprobe klang vielversprechend, im Gegensatz zu den anderen Rezensionen, die ich darüber gelesen habe, dachte ich: „Ich werde aber verstehen, worum es in diesem Buch geht“. Ohne tiefergreifende Vorbildung über die Geschichte der afrikanischen Länder, der Geschichte Ghanas oder die Probleme, die eine solche Herkunft mit sich bringt. Ob das das Problem war? Oder ob es nicht doch ein bisschen an der Erzählung selbst lag?
Stärken des Buchs:
Ich muss gestehen, das Buch lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Ich mochte es irgendwie, aber ich kann nicht unbedingt festmachen, was genau ich daran mochte. Es hat sich flüssig gelesen, die Sprache war angenehm, die Charaktere wiedererkennbar – soweit so gut, aber nicht unbedingt herausragend. Was es glaube ich wirklich ausgezeichnet hat, waren allerdings eher gewisse Beschreibungen: atmosphärisch dichte Orte, die Farben, gewisse Bilder und Kleidungsstücke, das Badewasser, das in England so viel unangenehmer ist als in Deutschland. Das teure Geschirr. Puder und Öle, Haarwachs, Parfum. Glänzendes Gold. Das rosa Kleid mit den Plateauschuhen. Solche Dinge eben. Außerdem die Formulierungen, die einen immer wieder überraschen und – leider – auch dementsprechend ratlos zurücklassen.
Schwächen des Buchs:
Wie ihr wisst, mag ich ja Bücher, bei denen man Dinge mehr spürt, als dass sie wirklich dastehen. Solche, wo man die Handlung manchmal nicht versteht. In diesem Fall war es zu viel. Bis zum Anhang, der mir (glaube ich zumindest) wenigstens erstmals einen Anhaltspunkt gegeben hat, wovon die Protagonistin da seit 240 Seiten redet, war ich vor allem verwirrt. Die Erzählung lässt vieles aus, und zwar so viel, dass man wirklich blind im Dunkeln tappt. Statt einem zu helfen, gewisse Dinge und geschichtliche Aspekte genauer zu verstehen, liest es sich wie ein großes Geheimnis, von dem die Autorin gar nicht will, dass man es erfährt. Die Charaktere werden dabei großteils nur angerissen, Situationen so unklar beschrieben, dass man entweder nicht weiß, was gerade passiert ist, oder sie sehr teilnahmslos gleich wieder vergisst, Menschen tauchen auf und verschwinden, und am Ende ist man genauso blöd wie davor. Ja, Maya fühlt sich in keiner der Kulturen zuhause. Ja, sie trägt das Los ihrer Ahnen, das eigentlich nicht erfüllbar ist – diese Gefühle werden gut transportiert und auch nachvollziehbar gemacht. Und der Rest bleibt ein großes Rätsel.
Mein Fazit zu „Wir Gotteskinder“:
Ja, mir fehlt ein Haufen Vorbildung zum Thema. Aber sollte ein Buch, vor allem eines, das behauptet es wolle Brücken zwischen Kulturen schlagen, nicht auch ein bisschen die Dummen, Unwissenden (also in diesem Fall weiße Europäer*innen) mit ins Boot holen? Vor allem, wenn das Buch ja auch für ihren Markt geschrieben wurde? Deshalb hatte ich „Wir Gotteskinder“ ja eigentlich gekauft, um mehr Verständnis zu bekommen, ein Gefühl für die Leiden, und nicht, um noch verwirrter als vorher zu sein. Oder bin ich es Autor*innen wie Nana Oforiatta Ayim schuldig, mich monate- oder jahrelang einzulesen, um wenigstens ein bisschen zu verstehen, worum es geht?
Was mache ich jetzt mit diesem Buch? Mit dieser Rezension? Außer zuzugeben, dass ich keine Ahnung habe, noch immer nicht, auch nach 270 Seiten nicht. Bin ich politisch inkorrekt, wenn mir dieses Buch nicht gefällt? Wenn ich es für eine schön formulierte vergebene Chance halte? Ist es meine Rolle als weiße, eurozentrische Europäerin, die verhindert, mich in das Denken der Autorin einzufühlen? Und wenn ja – wie komme ich da raus?
Für den Fall, dass „Wir Gotteskinder“ dazu dient, einem die eigene Unwissenheit unangenehm vor Augen zu führen: Das hat funktioniert, und dafür bin ich auch dankbar, weil es ein gehöriges Manko aufzeigt. Leider ist es aber trotz schöner Schreibweise keine ausgestreckte Hand, die einem hilft, die Kluft weiter zu überbrücken und eines Tages vielleicht sogar zu schließen – dafür muss ich wohl andere Bücher lesen. Aber: Ich gebe nicht auf!
Unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass ich (vermutlich selbstverschuldet) leider nicht wirklich verstanden habe, worum es geht, andere (belesenere oder erfahrungsreichere) Personen aber sehr wohl davon profitieren könnten, vergebe ich eine sehr ambivalente Bewertung von 3,5 Sternen, allerdings mit dem deutlichen Appell, das Buch trotzdem zu lesen. Eigentlich ist das Buch gut. Und es ist auch gut, manchmal zu sehen, wie wenig man eigentlich weiß …
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Wir Gotteskinder
Nana Oforiatta Ayim
erschienen bei Penguin Verlag
13. April 2021
Auch wenn sie besonders oft Fantasy liest, wird prinzipiell jedes Buch gelesen, das unvorsichtig genug war, ihr in die Hände zu gelangen. Nur vor Krimis und Thrillern wahrt Marlen respektvollen Sicherheitsabstand, der sich bei begründetem Spannungsverdacht allerdings sehr schnell verringern kann. Wenn sie nicht gerade liest, haut sie wahrscheinlich gerade eifrig in die Tasten um ihre Roman voranzutreiben und ihre Figuren leiden zu lassen.