Romantik für intellektuelle Träumer – Das Erwachen der Señorita Prim

Romantik für intellektuelle Träumer – Das Erwachen der Señorita Prim

Die Señorita Prim ist das rauschende Leben der modernen Welt überdrüssig und flieht samt ihrer unzähligen akadmischen Titel in eine Privatbibliothek eines abgelegenen kleinen Ortes. Ihr neuer Arbeitgeber hat jedoch eigentlich nur eine Anforderung an seine neue Bibliothekarin: Sie soll über keinerlei akademische Laufbahn verfügen. Trotz ihres unangemessenen Lebenslaufes, bekommt die junge Frau die Stelle und stürzt sich voller Eifer in die Sortierung der umfangreichen Bibliothek.

Bald merkt sie, dass nicht nur ihr Arbeitgeber, der Mann im Armsessel, etwas exzentrisch ist. Der gesamte Ort bildet eine Kommune, die sich vom Rauschen der modernen Welt abgewandt hat und seine eignenen ideale verfolgt. Zwischen Zitronenkeksen, Käsekuchen und verstaubten Büchern verliert die Protagonistin schnell ihr Herz an dieses entrückte Leben.

 

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Das Buch in die viel zu volle Tasche gepackt.
  2. Nachgesehen, wie viele Haltestellen bis Franktfurt bleiben
  3. Registriert, dass ich angekommen bin.

Mein Eindruck zu “Das Erwachen der Señorita Prim”:

Ich muss gestehen, ich habe “Das Erwachen der Señorita Prim” bereits vor zwei Jahren geschenkt bekommen und damals beschlossen, es nie zu lesen, weil es kein Fantasyroman, kein Krimi und auch kein Kochbuch ist. (Ja, das ist albern, aber ich bin sehr konsequent in meinen Albernheiten.) Gelesen habe ich es schließlich doch, weil es das einzige Buch war, das im Umzugschaos noch erreichbar war – und was bin ich froh darüber!

Zu Beginn war ich etwas überfordert, denn nicht nur die Protagonistin und sämtliche Bewohner des Dorfes, in das sie zieht, sondern auch die Autorin Natalia Sanmartín Fenollera, sind unendlich viel klüger als ich. Trotzdem gelang es der Geschichte, mich zwischen unverfolgbaren intellektuellen Schlagabtauschen in den Bann zu ziehen. Wie ein viktorianischer Traum erzählt sie von den großen und kleinen Dramen der Señorita, die sich irgendwo zwischen geblümten Sofas, schweren, abgenutzten Möbeln und gruseligen Kindern abspielen.

Und jetzt mein nächstes Geständnis: Ich habe keine Ahnung, wie ich das Buch rezensieren soll, ich versuche es einfach mal.

Stärken des Buchs:

Die Geschichte ist unterhaltsam. Warum, kann ich nicht sagen. Die verschrobene, in Idealen gefangene Protagonistin lädt nicht gleich zur Identifikation ein. Sie ist klug, stolz und hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie bestimmte Dinge zu laufen haben. Ihre Reaktionen auf den noch verschrobeneren Arbeitgeber brachten mich vermehrt zum Lächeln und die Hilflosigkeit angesichts ihrer allmählich entstehenden Verliebtheit weckte in mir das Bedürfnis, sie einfach mal in den Arm zu nehmen. (Und ihr zu raten, sich jemanden zu suchen, der sich nicht permanent über sie lustig macht. Im Guten natürlich.)

Die dargebotene alternative Gesellschaft war das eigentlich Interessante an dem Buch, kam nur leider angesichts des Minidramas der Señorita Prim viel zu kurz. Die Menschen in San Ireneo de Arnois kommen aus unterschiedlichen Teilen Europas und sie alle verbindet der Wunsch nach einem bodenständigen Leben, ohne Oberflächlichkeiten oder aufgezwungenen Leistungsdruck. Jede tut, was sie am besten kann, ungeachtet ihrer ursprünglichen Ausbildung oder der Wegmarken im Lebenslauf. Das vorherrschende Bildungssystem in der Welt draußen wird allgemein verachtet und die Kinder in der Gemeinschaft unterrichtet. Jede lehrt, was sie am besten kann.

Gelungene Thesen

Daran beteiligt sich auch der Arbeitgeber der Protagonistin, der Mann im Armsessel, seinen Namen erfahren Lesende nicht. Er unterrichtet nicht nur seine verwaisten Nichten und Neffen, sondern auch die anderen Kinder des Ortes in den alten Sprachen. In San Ireneo de Arnois ist es nämlich vollkommen normal, dass Achtjährige Cicero im Original lesen und anhand kurzer Zitate erkennen können. Der Autorin ist es gelungen, Thesen zu Bildung, Erziehung, Ehe, Religion und Feminismus aufzuwerfen, von der Protagonistin hinterfragen zu lassen und dann die Lesenden mit ihrem eigenen Urteil allein zu lassen. Hut ab dafür. Es gab Momente, da hätte ich das Buch am liebsten quer durch den Zug gepfeffert oder besser, einigen der beschriebenen Figuren und ihren Ideen an den Kopf geworfen. Letztlich zwangen mich die grandiosen Schlagabtausche dazu, meine eigenen Positionen zu betrachten und zumindest um Aspekte zu erweitern.

Ein letzter, für mich sehr wichtiger Punkt: Es ist eine Liebesgeschichte. Nicht mein bevorzugtes Terrain, aber es hat mich nicht gestört. Die stille Anziehung zwischen den Figuren hat mir gefallen. Der Kitsch beschränkte sich auf geblümtes Porzellan und das Ende war maximal altrosa, nicht quitschpink.

Schwächen des Buchs:

Ich bin viel zu ungebildet für dieses Buch. Am Anfang googlete ich noch einzelne Worte, Texte und Autoren, die erwähnt wurden, doch irgendwann gab ich es auf. War jetzt auch nicht so schlimm, hab die Geschichte trotzdem verstanden. Leider weist das für mich auf literarischen Windbeutelismus hin. Die Autorin schmückt sich mit Wissen, auf das sie ohne Zweifel sehr stolz sein kann, doch es hat keine direkte Bewandnis für die Handlung. Der ganze kluge Bla demonstriert letztlich nur, dass der Mann im Armsessel der guten Señorita Prim in gewissen Punkten überlegen ist. Die Geschichte hätte sich genauso gut zwischen Gärtner und Köchin abspielen können. Wenn die Diskussionen sich auf Pflanzen und Bäume beschränkten. Denn darum geht es: Der Eine redet konsequent über seine Themen. Die Andere fragt sich, was das jetzt eigentlich mit ihr zu tun hat und ist letztlich beleidigt.

Oberflächlichkeit & Übergriffigkeit

Señorita Prim ist Akademikerin mit zahlreichen Titeln, sie trennt sich von ihrem bisherigen Beruf und Leben, weil es ihr zu laut, zu oberflächlich und ihr ehemaliger Chef zudem enorm übergriffig ist. Nachdem sie sich in San Ireneo de Arnois eingelebt und den ansässigen Damen angefreundet hat, kommt sie zu dem Schluss, dass ihr ganz dringend ein Ehemann fehlt. Klar. Zwar hielt sie bisher nichts von der Ehe, aber die neuen Nachbarn haben bestimmt recht. In einem fast pubertären Unternehmen listet die Protagonistin unter Aufsicht einiger Frauen im Ort alle in Frage kommenden Männer auf. Ganz objektiv betrachtet.

Und der erste Mann, der es auf ihre Liste schafft ist ihr einstiger Chef, der unter anderem ein Grund war, warum sie ihr altes Leben loswerden wollte. Immerhin wird er auch gleich wieder von der Liste gestrichen, denn seine übergriffige Zuneigung war dann doch ein bisschen zu viel. Das ist nur das Highlight der teils stark konstruierten Männersuche, die mir persönlich etwas zu albern erschien. Zumal den Leser*innen und auch sämtlichen anderen Figuren in der Geschichte längst klar ist, wem das Herz der jungen Bibliothekarin gehört. Die Protagonistin rätselt aber lieber über plötzlich auftretende Magenbeschwerden in der Anwesenheit bestimmter Personen.

Zu guter Letzt: Der Mann im Armsessel. Der wiedergeborene Mr. Darcy, auf den ebenfalls mehrfach verwiesen wird, ist in dieser Geschichte namenlos. Das ist kein Problem, ich mag ja bekanntlich namenlose Figuren. Als dann allerdings mehrfach die Rede von der Mutter des Mannes im Armsessel war, hat es mir doch mehrfach die Augenbrauen gen Himmel gezogen.

 

Mein Fazit zu Das Erwachen der Señorita Prim:

Trotz meiner gemischten Gefühle und dem ein oder anderen Aufreger während der Lektüre, mochte ich das “Das Erwachen der Señorita Prim”. Das Buch hat mich gut unterhalten und ließ sich flüssig lesen. Ich denke, mein größtes Problem ist, dass das Buch sich cleverer gibt, als es wirklich ist. Mir erschließt sich nicht, warum eine nette, verschrobene Liebesgeschichte derart aufgebläht werden muss.

Daher empfehle ich das Buch jenen, die über die Wolken aus heißer Luft hinwegsehen können und Teezeit in Sesseln mit Klauenfüßen genießen. Über den im Buch vertretenen Feminismus bin ich mir noch uneins, doch ich vermute, dass er ein gutes Mittel gegen niedrigen Blutdruck ist.

Ich schenke dem Buch dreieinhalb Sterne, weil es mich wirklich gefesselt und erst im Nachgang, beim Schreiben dieser Rezension, zunehmend aufgeregt hat.



Das Erwachen der Señorita Prim

Natalia Sanmartín Fenollera

Gegenwartsliteratur Liebesroman
Softcover, 368 Seiten

erschienen bei Piper

29. Dezember 2014

ISBN 978-3-492304542

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