Gekränkter Stolz des Lesenden – Der dunkle Garten [Rezension]
Der dunkle Garten: Toby wird in seiner Wohnung von Einbrechern in seiner Wohnung zusammengeschlagen, landet schwer verletzt im Krankenhaus und seitdem ist er nicht mehr ganz auf der Höhe. Als sein Onkel mit unheilbaren Krebs diagnostiziert wird und nur noch wenige Monate zu leben hat, zieht Toby als Unterstützung zu ihm ins Haus, wo er bis in seine Teenagerzeit seine Sommer verbracht hatte. Dann wird in dessen Garten ein Skelett gefunden und er kannte den Toten.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Erleichtert ausgeatmet: Endlich fertig!
- Das nächste Hörbuch herausgesucht.
- Mir den Kopf zerbrochen, wie zum Teufel ich dieses Buch rezensieren kann
Mein Eindruck zu „Der dunkle Garten“:
Nun, ich kenne schon einiges von der Autorin Tana French und bin ein riesiger Fan. Sie schreibt Krimis auf ihre eigene Art, sehr sanft und psychologisch, nicht mit dieser Blutrünstigkeit und Härte. Die Figuren sind komplex und vielschichtig, nicht nur überarbeitet und unfähig zu einem Privatleben. Also hab ich mir vor dem Kauf keine großen Gedanken gemacht. Tana French hat ein neues Buch geschrieben? Klar, sofort lesen! Und ZACK, gekauft. Leider, leider, leider war ich dann zum Leidwesen meiner Mitmenschen nur am Schimpfen. Die häufigste Frage in meinem Kopf lautete: Wann würde dieses Buch endlich fertig sein? „Der dunkle Garten“ war trotzdem ein literarisches Meisterwerk und genau das macht meine Rezension schwierig.
Stärken des Buchs:
Tana French kann richtig gut schreiben und Figuren entwickeln. Sie hat es drauf, dass diese nicht immer logisch handeln und sie trotzdem stimmig sind. Dazu haben sie nicht einfach nur Stempel a la „mutig“ oder „schwul“ oder „angeberisch“. Das ist toll und das können nur sehr wenige Autor*innen so gut, vor allem im Krimi-Genre.
Apropos Krimis. Ich liebe Rätselraten, aber mich nerven diese gängigen Thriller und Krimis meistens sehr. Ich möchte spannende Fälle, aber das bedeutet eben nicht so gewalttätige, blutige, kreativste Mordfälle wie möglich und ständig Serienkiller und psychisch vollkommen durchgeknallt. Das Spannende ist ja das Menschliche an Mördern, finde ich. Und das findet auch Tana French, ihre Mörder gruselig, weil es jeder sein könnte. Jemanden, dem du vertraust. Oder du selbst. Und absolut nachvollziehbar.
Holla die Waldfee ist das Buch verzwickt. Es gibt ein Ende und ein Ende-Ende und ein Ende-Ende-Ende und ein Ende-Ende-Ende-Ende. Ich fand mich als Leserin voll schlau, weil ich schon recht früh dachte, ich würde alles schon wissen. Dann fand ich heraus, dass ich genau das denken sollte und bin voll in die Falle getappt. Das liebte ich, auch wenn ich mich natürlich etwas geschämt habe. Was okay ist, ich schäme mich gerne, wenn ich mich für zu schlau für Buch fand.
Das Buch geht nicht nur um einen Mordfall und die Frage, wer es denn nun getan hat. Es hat eine Meta-Ebene, eine gehirnfickende (sorry) Frage an jede*n Leser*in, die ich so richtig, richtig spannend finde.
Schwächen des Buchs:
Schon während der ersten Hörminuten hat mich der Ich-Erzähler genervt. Konstant hat er sich in seiner Männlichkeit angegriffen gefühlt und log die anderen an, dass es ihm schon wieder voll gut gehe. Schon im wahren Leben finde ich es anstrengend, wenn jemand immer stark wirken will und nicht um Hilfe bittet und am Ende deswegen noch eine viel größere Last für alle ist. Und im Grunde bestehen 90 Prozent des Buches aus gekränktem Stolz. Ich hätte den Erzähler am liebsten selbst auch verprügelt (wie die Einbrecher im Buch).
Mein Fazit zu „Der dunkle Garten“:
Die Frage ist, um was geht es beim Lesen? Kann ein Buch gut sein, obwohl man die Lektüre nicht genießt? Die Stärken des Buches sind großartig und ich merke, dass sehr, sehr viel nachschwingt. Aber ich bin heilfroh, dass es rum ist! Ich würde es mir gerne leicht machen und sagen: Lest einfach ein anderes Buch von Tana French. Aber bei denen schwang nicht mehr so viel nach, was etwas mit mir selbst macht. Und ist das nicht viel wertvoller?
Die Lese-Erfahrung erinnert mich stark an „Cloud Atlas“, durch das ich mich richtig durchbeißen musste. Ich hasste das komplette Buch, doch dann las ich den letzten Satz. Der war genial. Und der machte das gesamte Buch im Nachhinein gut.
Mir persönlich reicht das nicht. Ich finde, es sollte nicht nur um das Ziel gehen, sondern auch um den vergnüglichen Weg dahin. Schließlich wollte ich keine Französischvokabeln pauken, sondern ein Buch genießen.
Also muss ich jetzt irgendwie dieses Kack-Meisterwerk benoten. Ich vergebe fünf Sterne für die literarische Meisterleistung. Und null für das fehlende Vergnügen.
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Der dunkle Garten
Tana French
erschienen bei FISCHER Scherz
28. Dezember 2018
Jetzt für 16,99 € kaufen
Magret liest nie, ohne dabei zu schimpfen. Am wenigsten mag sie wiedergekäute Ideen, leere Worthülsen oder Floskeln. Dafür steht sie auf Experimente, selbst wenn sie schiefgehen. Die Figuren sind ihr wichtiger als der Plot. Daher liest sie vor allem Entwicklungsromane, klassische und welche der Gegenwartsliteratur.
One Reply to “Gekränkter Stolz des Lesenden – Der dunkle Garten [Rezension]”
Hallo,
Der Spoiler hat mir die Vorfreude auf den Roman ziemlich versaut. Ich hätte hier Infos zur Erzählweise, zum Schreibstil, zu Vergleichen mit anderen Romanen und vielleicht ein gutes Zitat, das die Stimmung des Romans einfängt, erhofft. Schade!
Grüße
Ulrike