Mühelose Redundanz – Einmal Mondstern und zurück [Rezension]
Louana und Solveigh sind Schwestern und gehen in die Grundschule. Eines Tages werden sie informiert, dass ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und kommen sofort in eine neue Familie zu den Steiners. Dort können sie aber nicht lange bleiben und kommen zu ihren Großeltern, die zwar in der Nähe wohnen, aber vorher verschollen oder einfach unbekannt waren. Dann werden die Mädchen schlecht behandelt und gehen nie wieder zur Schule. Irgendwann werden noch die Eltern beerdigt, und Louana findet imaginäre Freunde, wahlweise als Wolkenmensch oder im Mond selbst, so richtig entscheiden kann sie sich da nicht. Aber eines steht fest: Nachdem das Jugendbuch die Geschichte vorangetrieben hat, geht es plötzlich um Gott und dann fällt den Mädchen ein, dass man auch mal trauern könnte, weil die Eltern ja gestorben sind.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Meinen Blutdruck zu senken versucht
- Überlegt, was ich mit diesem armen Buch machen soll, denn verkaufen scheint unmöglich
- Überlegt, ob ich eine „Null-Sterne“-Bewertung im Buchensemble einführe
Mein Eindruck zu Einmal Mondstern und zurück:
Einmal Mondstern und zurück* ist das mit Abstand schlechteste Buch, das ich jemals gelesen habe. Es hat eine Leseempfehlung ab 16 Jahren, ist aber absolut nicht altersgerecht. Es sollte weder von jüngeren noch von älteren Leserinnen oder Lesern gelesen werden und ist schriftstellerisch sowie verlagstechnisch eine einzige Katastrophe. Daher sehe ich mich gezwungen, ein Novum beim Buchensemble auszuprobieren: Ich beginne mit den Schwächen und nenne erst danach die Stärken des Buchs.
Schwächen des Buchs:
Es ist schwer, eine Schwäche zu finden, bei der man starten soll. Also beginne ich beim Inhalt, denn das ist das einzige, wovon ich Erwartungen hatte. Ich habe „Einmal Mondstern und zurück“ auf der BuchBerlin 2018 im lieblosen Jugend- und Kinder-Raum gefunden und als schmuckvolles Fundstück empfunden. Meine Erwartungen waren groß: Ein Buch für Jugendliche zum Thema Trauer und Tod. Doch in der Geschichte trauern die Mädchen nicht nur nicht, es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte an die Realität. Ihnen wird gesagt, dass die Eltern tot sind, und innerhalb einer Stunde oder so sind sie plötzlich bei einer Pflegefamilie.
Es gibt weder Emotionen noch die fünf Phasen der Trauer. Die dümmlichen Protagonistinnen interessieren nur die Kaninchen, die die Gastfamilie hat und wie ein Tag so abläuft. Ich will gar nicht wissen, wie oft ich sinngemäß „Ich gehe duschen. Das heiße Wasser läuft mir über die Haut.“ gelesen habe. A propos Duschen: Hier zieht die Protagonistin Luana ihre Kleidung an, hat sogar die Entscheidung zwischen ihrer eigenen und der der Familie Steiner, und erst am nächsten Tag fährt sie in ihr Elternhaus, um sich ihre eigene Kleidung zu holen.
Schlechter Stil und keine Mühe
Die gesamte Geschichte weigert sich, sich „Show, don’t Tell“ zu bedienen. Stattdessen gibt es Nominalstil und Passiv zwischen hässlichen Absätzen, die mit Word gemacht wurden. Der ReH-Verlag hat keinen Cent in Lektorat oder Buchsatz investiert. Es fühlt sich an, als sei hier im Verlag folgendes passiert: Der Erstentwurf ist da? Ab in die Druckerei damit! Fertig.
Während es zu Beginn noch (schlechte) Dialoge gibt, werden diese einfach ab Seite 30 ausgelassen. Und mit „auslassen“ meine ich nicht, dass einfach niemand spricht, sondern dass der Leser nicht informiert wird. Sehr häufig stolpert man über Sätze wie: „Sie sagt mir etwas“. Oder: „Er sagt mir seinen Namen.“ Oder, die Krönung: „Sie liest den Brief.“ Der Leser wird über nichts informiert, was da gesprochen wird. Offenbar hat die Autorin gemerkt, dass ihre Dialoge grauenhaft gestellt wirken und dass sie gar nicht weiß, wer was zu wem sagt, weshalb es zu diesen Vorenthaltungen gekommen ist.
Weiter geht es mit jeder Menge Wortwiederholungen und unglücklichen Formulierungen. Es gibt keinen Lesefluss und der Schreibstil erinnert an das, was ich in der fünften Klasse fabriziert habe. Klingt hart, ist aber wirklich so. Zwischendurch hatte ich Lust, dem Verlag ein Lektorat anzubieten, aber auf der Suche nach einer Handlung ging mir die Lust abhanden. Denn „Einmal Mondstern und zurück“ besteht zu 80 % aus Redundanzen. Ständig wird geduscht und gegessen. Und wenn der Autorin nichts einfällt, formuliert sie die vorherigen Sätze einfach um. „Meine Schwester hat viele Fragen“ ist das Thema ab Seite 75, und bei Seite 77 geht es um „Meine Schwester muss alles ganz genau wissen“. Was sie fragt oder was sie wissen will, erfährt der Leser natürlich nicht.
Liebloser Satz
Die Absätze sind manchmal komplett kursiv, manchmal haben sie eine andere Schriftart, und da steckt auch ein inhaltlicher Sinn dahinter. Dieser wurde aber leider nicht konsequent durchgezogen. ebenso wie die Kapitellängen. Am Anfang ziehen sich fünf Kapitel über 80 Seiten. Die nächsten 20 Kapitel (!) füllen die darauffolgenden knappen 200 Seiten.
Immer, wenn eine neue Figur auftritt, wird die Geschichte angehalten, um erst einmal eine ausführliche Beschreibung der Farbe der Kleidung anzubringen. Die Protagonistin selbst wird durch die amateurhafte Klischee-Spiegel-Szene beschrieben. Klasse.
Repetetiv und ohne Lektorat
Lieblingsworte der Autorin sind „bereits“ und „alle“. Selbst, wenn zwei Personen betroffen sind, gehen „alle“ irgendwo hin. Wahrscheinlich, um zu duschen oder zu essen oder zu schlafen. Und wenn die Protagonistin nicht damit beschäftigt ist, greift irgendwas nach ihr. Ständig liest man: „Etwas greift nach mir. Es sind die Hände von []“. Was soll denn sonst greifen, wenn nicht Hände?
Unglaubwürdig ist auch die Sprache der Protagonistin. Sie ist naiv geschrieben, was für eine Grundschülerin absolut passend ist. Und dann plötzlich gehen sie nicht an etwas vorbei, sondern sie „passieren es“ (S. 33). Und die Decke ist „mit Brettern ausgekleidet“ (S. 53), oder man hat etwas nicht gern, sondern „favorisiert“ es (S. 27). Zeig mir einen Grundschüler, der so spricht, und ich nehme diesen Punkt zurück.
Insgesamt ist „Einmal Mondstern und zurück“ eine Aufzählen und keine Erzählung. Erst passiert das, dann das, dann jenes, dann das nächste Ereignis. Ein bisschen erinnert mich die Redundanz und Reihenfolge der Geschichte an „Mathilde Möhring“.
Unglaubwürdig und nervig
Sobald die Mädchen bei den Großeltern unterkommen, geht es immer nur darum, dass die Oma 17 Schritte braucht, um die Tür aufzuschließen. Dann passiert irgendwas, und dann geht das von vorne los. Niemand kümmert sich darum, dass die Mädchen eingeschlossen und misshandelt werden. Keiner vermisst sie, die über ein Dreivierteljahr nicht mehr zur Schule gehen. Es gibt keine Psychologen, keine Trauerbegleitung, kein kontrollierendes Jugendamt. Hier zeigt sich: Es wurde kein kleiner Finger krumm gemacht für etwas namens Recherche.
A propos Recherche: Särge werden geschoben. Auf der Beerdigung. Geschoben. Särge schieben. Was ist falsch mit den Leuten in der Welt von „Einmal Mondstern und zurück“? Reichte das Geld nicht für mehr als einen Sargträger, sodass die Särge über den Friedhof geschoben werden müssen?
Triggered durch Bindestriche
Auch das mit den Bindestrichen hat der ReH-Verlag (Oder: ReH- Verlag, man beachte das Leerzeichen) nicht so ganz verstanden. Bindestriche schreibt man nämlich zwischen zwei Worten und nicht mit einem Leerzeichen zwischen Bindestrich und dem zweiten Wort. Das kommt in „Einmal Mondstern und zurück“ immer wieder vor. Und nicht nur das! Statt Gedankenstrichen gibt es das Minus ebenfalls, und wenn die Autorin mal Bock hatte, heißt es halt Ver-zweiflung und ab-zuwarten mitten im Fließtext.
Gefährdend für die Zielgruppe
Abgesehen davon, dass ich dieses Buch des ReH-Verlags für ein viel zu schnell produziertes Etwas halte, dem Lektorat und mehrere Augen gut getan hätten, findet man im Internet einen Bericht über dieses Buch. Dabei sagt die Autorin: „Ohne ein Bewusstsein dafür zu haben, setzt sie sich aber so mit dem Tod auseinander.“ (Quelle: derwesten.de). Hier wird also die fehlende Emotion und die fehlende Trauerverarbeitung in diesem inhaltslosen Buch damit weggewischt, dass die Kinder eben einfach kein Bewusstsein dafür hätten.
Wenn dem so ist, hat dieses Buch einfach keine Daseinsberechtigung. Da lasse ich nicht mit mir reden, sorry. Der Gedanke war doch, ein Buch für Jugendliche zu schreiben, um das Tabuthema „Tod“ ins Bewusstsein zu holen. Eine, ich wiederhole mich gerne, geniale Idee, die ich total wichtig finde. Aber dann wählt die Autorin Kinder, die absolut unrealistisch denken und einfach nicht in ihre Altersgruppe (Grundschüler, 7 – 11) passen? Wieso?
Nach 100 Seiten wollte ich das Buch abbrechen. Aber ich wollte es fürs Buchensemble rezensieren und daher habe ich mich durchgequält. Ich hatte das Gefühl, die Grundidee der Geschichte würde mir eine Stärke liefern. Und, siehe da, ich habe sogar drei Stärken von „Einmal Mondstern und zurück“ gefunden!
Stärken des Buchs:
Kommen wir zu den drei Stärken, die „Einmal Mondstern und zurück“ bietet. Denn die sind vorhanden, und sie haben es verdient, genannt zu werden.
Erstens sind die Kinder atheistisch aufgewachsen. Sie haben eine naive Beschreibung christlicher Kirchen und Symbole, was ich toll finde, wenn man sich neutral mit dem Thema Tod und Trauer auseinandersetzen möchte. Das trifft aber, siehe unten, nur auf den ersten Teil des Buches zu.
Zweitens handelt es sich um einen richtig schönen Druck. Ein Hardcover mit tollen Farben und Lesebändchen. Für Selbstverlage ist so eine Buchausstattung nicht selbstverständlich, schon gar nicht zum Preis von 14,99 €. Ich finde, das sollte man honorieren und definitiv positiv hervorheben!
Die dritte Stärke soll unter anderem tröstend für Autorin & Verlag sein. Die Geschichte hat Potential. Der Plot hat im Großen und Ganzen eine Daseinsberechtigung. Mit ein paar Monaten Arbeit ließe sich aus „Einmal Mondstern und zurück“ eine richtig gute Kurzgeschichte machen. Wenn man den Stil überarbeitet und den allgemeinen Plot, vor allem das Ende, herausputzt, kann man daraus echt was machen.
Warnung vor Gott-Blabla
Als letzte Schwäche möchte ich das Gott-Blabla hervorheben. Ich fand es gut, dass die Kinder religionsfrei erzogen wurden und dass sich das Buch zunächst an alle Menschen richten wollte. Aber irgendwann hatten die Kinder ohne Grund und ohne jemals eine Bibel berührt zu haben, eine göttliche Eingebung, die kleine Schwester erzählt Bibelgeschichten rauf und runter und selbst die imaginären Freunde von Louana sind überzeugt, dass es einen Gott – pardon, den einzig wahren christlichen Gott – gibt. Wenn man schon mit Trauer und Tod umgehen will und im Klappentext kein Wort von Religion spricht, dann sollte das Buch auf keinen Fall so ein meinungsbildender Schund sein. Hätte man hier wenigstens dargestellt, dass es mehr als nur eine Religion gibt! Die Schwestern hätten verschiedenen Glauben entwickeln können. Man könnte so viele coole Themen und Geschichten aus dieser Grundidee machen, aber Rebecca Hünicke hat sich für die schlechteste aller Methoden entschieden. Ich will kein christliches Gott-Blabla, wenn ich es nicht vorher wusste. Schon gar nicht, wenn es als die einzige Wahrheit und Pflicht zum „richtigen Glauben“ dargestellt wird.
Mein Fazit:
Dieses Buch Einmal Mondstern und zurück* ist mein Flop des Jahres. Ich weiß, wir haben Januar, aber das wird schwer zu unterbieten sein. Aber jeder hat mal weit unten angefangen. Ich bin bestürzt, dass der ReH-Verlag diesen unüberarbeiteten Rohentwurf vom Worddokument direkt an die Druckerei gegeben hat. Aber jeder kann wachsen, jeder kann lernen. Ich hoffe, Rebecca Hünicke wächst über sich hinaus und steckt nicht den Kopf in den Sand. Mit Arbeit und Fleiß kann man Schreiben lernen. Aber als „Verlag“ sollte man wenigstens mal Google bemühen und „Lektor“ oder „Buchsatz“ nachschlagen.
Ein Wort zum Abschluss: Ich weiß noch immer nicht, was ich mit dem Buch machen soll. Ich habe „Alle Vögel unter dem Himmel“ und „Hummeln fliegen auch bei Regen“ verkauft, weil ich diese sehr enttäuschenden Werke nicht im Regal haben wollte. Auch bei „Einmal Mondstern und zurück“ würde es mir wehtun, dieses sehr schöne Buch mit dem sehr enttäuschenden Inhalt vor Augen zu haben. Hast du Interesse, das Buch, beispielsweise als Lehrwerk für angehende Autoren oder so, zu bekommen? Dann schreib‘ mir! Ich verschenke es, wenn du mir die Versandkosten erstattest.
Noch nie hat Kia so geschimpft. Positivere Rezensionen findest du auf ihrer Rezensentenseite.
Einmal Mondstern und zurück
Rebecca Hünicke
erschienen bei ReH-Verlag
15. Oktober 2015
Kia liest. Nicht nur Sachbücher zur persönlichen Entwicklung und Schreibratgeber, sondern auch Entwicklungsromane, nerdige Science Fiction und alles, was zwischen Utopie und Dystopie ein bisschen Drama angereichert hat. Beim Buchensemble gibt sie hin und wieder Einblicke in ihre Reiseberichte, die sie beim Durchqueren spannender Welten anfertigt.
One Reply to “Mühelose Redundanz – Einmal Mondstern und zurück [Rezension]”
Der ReH Verlag IST Rebecca Hünecke 😉
Es gibt so viele „Verlage“, die gar keine sind.