ENDLICH SAGTS MAL WER!!!11elf – Kann man mal machen [Rezension]

ENDLICH SAGTS MAL WER!!!11elf – Kann man mal machen [Rezension]

Mirella vom YouTube-Kanal „Mirellativegal“ beschreibt in ihrem Sachbuch „Kann man mal machen“ Anekdoten aus ihrem Leben, zeigt, wie unperfekt sie ist und sein darf und schneidet Themen an, über die wir alle mal nachdenken sollten. Dabei geht es zwar um Body Positivity, Feminismus, Medienkonsum, Dummheit im Netz, Werte, Liebe, Freundschaft, Eifersucht und Hochsensibilität, aber Mirella verzichtet darauf, mit erhobenem Zeigefinger Ratschläge zu erteilen. Die Autorin kommt nahbar und sympathisch daher, wie sich sie bereits vor dem Lesen dieses Buches auf YouTube kannte und schätzte. Spoiler: Ich schätze sie immer noch.

 

„Schon wieder ein Youtuber-Buch?“ Denkst du vielleicht so? Ich habe auf meinem Autorenblog einen Artikel zu einigen Vorurteilen und Fragen geschrieben, die die Menschen an Youtuber haben, die auch Autoren sind.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Den Klappentext gelesen (wird das jetzt zur Gewohnheit?)
  2. Eine Runde rumgelegen
  3. Kohlenhydrate gegessen

Mein Eindruck zu Kann man mal machen:

Zu „Kann man mal machen* habe ich erstaunlich wenig zu sagen. Das liegt nicht daran, dass das Buch etwa „leer“ ist oder aus hohlen Phrasen bestünde, im Gegenteil. Das gesamte Buch regt dazu an, sich mit sich selbst zu befassen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und Dinge einfach mal zu machen – wenn man denn möchte. Daher habe ich das Gefühl, ein Buch über mich gelesen zu haben, in dem Mirella auch mal über sich gesprochen hat. Und wenn ich jetzt allzu viel zu diesem Buch erzähle, gebe ich total viel von mir preis. Ist das irgendwie verständlich?

Das bringt mich auch zum Eindruck dieses Buches. Zu Beginn schreibt Mirella in der Widmung: „Für mich.“. Finde ich absolut genial und das will ich ihr eines Tages in einem meiner Bücher mal klauen. Aber ich habe das Gefühl, das Buch sei für mich geschrieben worden. Also nicht für sie, sondern allen Ernstes für mich. Nicht uneingeschränkt, denn an einigen Stellen wackelt das redaktionelle Konstrukt des Buches ziemlich stark, worauf ich in den Schwächen gerne zurückkommen möchte. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Buch den Lesenden an Ort und Stelle abholen und in verschiedenen Themengebieten bereichern soll. Bereichern. Nicht belehren, nicht beratschlagen, nichts empfehlen, nicht zum Nachdenken anregen. Das kann alles passieren, ist bei mir auch bei den meisten Themen passiert, aber alles ist eine Kann-Option, keine Muss-Leistung.

Entsprechend gut gefiel mir „Kann man mal machen“ auch. Das Buch ist nicht herausragend, es ist einfach nur „sehr gut“. Kann man mal lesen!

Stärken des Buchs:

Kann man mal machen* spricht die Themen an, die man im Netz einfach nicht ansprechen darf. Ständig fühlt sich irgendwer irgendwo verletzt, oder es kommt eine Hass-Welle, oder das Thema passt nicht zur Zielgruppe und verschlechtert irgendwelche Rankings. Es geht um so viele herrliche Themen, über die ich so gerne im Offline-Leben spreche. Ich persönlich würde niemals online über Feminismus sprechen, da ich als Nicht-Feministin schlichtweg auf den verbalen Scheiterhaufen komme. Obwohl ich Antisexistin und damit auf der richtigen und wichtigen Seite bin und die Sache lediglich anders als Feministen angehen würde. Mirella tut das einfach mal. Nicht mit dem Antisexismus, denn sie ist Feministin, aber sie spricht das an, was man sonst im Internet nicht darf, ohne ein sehr, sehr dickes Fell zu haben.

Hass im Netz. Body Positivity. Dummen Internetkonsum. Es geht um falsche Vorbilder, um „sprachliche Mikroaggressionen“ (S. 84) und um all die Menschen, die auf „entweder … oder“ mit „aber!“ antworten. Dabei geht es nicht um die Dummen da draußen und nicht um uns dumme Leser. Es geht um uns alle Menschen, die sich ziemlich häufig dumm verhalten. Mirella spricht Themen an wie Eifersucht und Neid und schafft es auf humorvolle und lockere Art, „Gönn doch einfach mal“ zu empfehlen. Das schafft sie auch in anderen Bereichen.

Blödheit mit Liebe in Kann man mal machen

In all diesen Bereichen hat Mirella es entweder geschafft, in mir ein „wie blöd bin ich eigentlich?“ oder ein „wie blöd sind die anderen eigentlich?“ hervorzurufen. Als jemand, der mit Medien hervorragend umgeht, dachte ich, sei ich von ihren Tipps zum Thema Medien-Hygiene nicht betroffen. Ha ha ha, als ob. Nur, weil ich kaum Zeit am Handy verbringe und Social Media noch nie privat genutzt habe, heißt das noch lange nicht, dass ich mich von unrealistischen Vorbildern runterziehen und durch meine persönliche Version von Hate Watching auf die Palme bringen lasse. Insgesamt hatte ich das Gefühl, Mirellas Buch ist ein Spiegel, der mir vorgehalten wird. Und dabei auch noch sehr angenehm zu lesen.

Weiterhin positiv finde ich, dass der Buchsatz wirklich hervorragend ist. Das liegt vielleicht auch daran, weil ich direkt nach diesem Buch ein sehr schlecht gesetztes Buch gelesen habe, aber dennoch bin ich beeindruckt. Und ich mag das Gelb! Wieso hat mir niemand vorher gesagt, wie schön gelb sein kann? Im Buch sind die Seiten abwechslungsreich immer mal wieder gelb gestaltet.

Rechtschreibung, Stil und Grammatik passen auch, das Lektorat scheint gut geklappt zu haben. Im Ernst, ich habe Mirella Stimme im Kopf beim Lesen. Nicht immer die ernste Stimme, sondern häufig die, mit der sie mit ihrem Kater Jackson Jürgen Jesus spricht. Das gibt dem Leseerlebnis einen ganz besonderen Spirit 😀

Keine Angriffsfläche

Kommen wir zur allergrößten Stärke von „Kann man mal machen“. Und, oh mein Gott, wie kann man so akribisch und genial sein?! Es gibt keine einzige Stelle, an der man sich empören kann! Ich habe vor Kurzem erst „Machen Sie sich frei“ von Vince Ebert gelesen. Gib Twitter zwei wahllose Seiten aus Herrn Eberts Buch, und ein Shitstorm wird das Netz lahmlegen. Bei Mirella geht das schlichtweg nicht. Sie formuliert so vorsichtig und passend, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt, aber gleichzeitig niemand das Gefühl hat, besonders angesprochen und an den Pranger gestellt zu werden. Das habe ich mit meinen inneren Twitter-Hypochonder-Stimmen im Kopf durchdiskutiert. In heutigen Zeiten, in denen sich ständig irgendwer schlecht fühlt und wir auf alle Rücksicht nehmen müssen, ist „Kann man mal machen“ eine echte Meisterleistung. Hut ab!

Buchcover von Kann man mal machen, Foto: Kia Kahawa
Kann man mal machen, Foto: Kia Kahawa

Schwächen des Buchs:

Schwach empfand ich an diesem Buch nur eine Sache. Doch zunächst möchte ich wie üblich auf hohem Niveau meckern. Ich habe ein paar Fehler gefunden, die nicht hätten sein müssen. Hätte Community Editions halt mich als Korrektorin angefragt, tze! 😉 Ein bisschen kritisch finde ich den Sarkasmus, den Mirella in der ersten Buchhälfte walten lässt. Für mich ist der kein Problem, aber ich glaube, wer sie und ihre Videos nicht kennt, könnte manchmal etwas ernst nehmen und ein falsche Bild bekommen. Vor allem in den Kapiteln über Hass im Netz, Medienkonsum und Feminismus ist mir das ein paar Mal aufgefallen.

Hier hatte ich auch das Gefühl, als hätten Mirella und Community Editions ihre Zielgruppe zeitweise verloren. Es klang plötzlich so, als sei der Leser einer von „denen“. Von den Sexisten und von den Idioten, die um Seite 80 rum erwähnt werden. An Stellen wie diesen fühlte ich mich überhaupt nicht angesprochen und hatte das Gefühl, sagen zu müssen: „Hey, Mirella, das ist selbstverständlich. Niemand, der dein Buch liest, fühlt sich hier angesprochen, wir sind doch alle intelligent genug und sowieso nicht solche Idioten.“. Vielleicht lag das auch daran, dass ich in den Themen selbst recht weit bin.

Die Zielgruppe leicht verfehlt?

A propos weit in den Themen und Zielgruppen: Mirella spricht immer so selbstverständlich vom Mindset, dass ich mich etwas gewundert habe. Als selbstständige Freiberuflerin, die sich mit Gründungs- und Start-Up-Seiten und Coaches rumschlägt, weiß ich alles übers Mindsetting, was ich brauche. Aber der „normale Leser“, die Zielgruppe von „Kann man mal machen“, weiß der, was ein Mindset ist? Hätte man das nicht in der Fußnote kurz erklären können, so, ich meine, als Kirsche auf der Sahne, natürlich.

Bei einigen Themen fühlte ich mich als Freiberuflerin sehr angesprochen, und ich fühle mich da Mirella auch sehr verbunden, denn neben Geburtsjahr, Heimatland und Mindset haben wir die Selbstständigkeit gemeinsam. Aber da glaube ich, bin ich eine eher seltene Ausbeulung der Zielgruppe und kann mir vorstellen, dass solche Stellen nicht jedem geschmeckt haben. Denen haben dann vielleicht die von mir kritisierten Stellen um Seite 80 rum geschmeckt. So what!

YouTube-Sprache in Kann man mal machen

Was mir beim Lesen allerdings nie aus dem Kopf ging: Im Vorwort nach dem Vorwort sagt die Autorin, sie würde im „wir“ sprechen. Aber sie hat kein einziges Mal das „wir“ benutzt. Sie schreibt im „ihr“. Kein „du“, kein „Sie“, kein „wir“. Das Youtube-typische „ihr“. Finde ich persönlich etwas zu unpersönlich (ha!), ist aber wohl wichtig, wenn man den Leser nicht angreifen will, wenn man über etwas schreibt, was vielleicht nicht gerade auf den Leser passt. Vielleicht ist das „ihr“ einfach nur gewöhnungsbedürftig in Schriftform, aber dann überarbeitet doch bitte das „wir“-Vorwort!

Last but not least eine kleine Schwäche, die eher als Warnung gilt: Mirella benutzt gerne Anglizismen. Wer damit nicht klarkommt, könnte „Kann man mal machen“ an die Wand klatschen ;D

Mein Fazit zu Kann man mal machen:

Mirella ist mein Vorbild in Sachen Me-Time, Selfcare und Body Positivity. In „Kann man mal machen* zeigt sie aber gleichzeitig, wie man mit Vorbildern umzugehen hat, und das ist ein extrem entspannter Weg, den sie da vorschlägt. Ich habe das Gefühl, dass Mirella endlich mal das ausgesprochen hat, was so lange überfällig war. Und mit dem, was sie ausgesprochen hat, meine ich natürlich, dass sie mir aus der Seele spricht. Das Lesen war ein Vergnügen, die Schwächen überschaubar und insgesamt ist das Buch schlicht und ergreifend wertvoll. Ich möchte „Kann man mal machen“ mit vier von fünf Sternen bewerten, da ich es für ein sehr gutes, aber kein ausgezeichnetes Buch halte.

Um mit den Worten von Mirella abzuschließen: „Gönn dir, ich gönn mir auch“ (Seite 38).

Du willst mehr von Kia lesen? Hier geht es zu all ihren Rezensionen.



Kann man mal machen

Mirellativegal

Sachbuch
Softcover, 304 Seiten

erschienen bei Community Editions

30. November 2018

ISBN 978-3-960960546
12,00 € bei Amazon*

 

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