6034 Tage Ethik und Moral – Letztendlich sind wir dem Universum egal
A wechselt seit seiner oder ihrer Geburt den Körper. A lebt nur für einen Tag, an den sich die Person, die er eingenommen hat, am nächsten Tag nur genau so weit erinnern kann, dass keine Panik über die 24 Stunden ohne Kontrolle über das eigene Leben entsteht. Am Beginn von „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ wacht A im Körper von Justin auf: Dem Freund von Rhiannon. Er macht mit ihr einen Ausflug ans Meer und verliebt sich unsterblich in sie. Mit einem E-Mail-Konto, auf das A von all den verschiedenen Orten zugreifen kann, beginnt er, Kontakt zu ihr aufzunehmen, lernt sie in Form von Nathan und anderen 16-jährigen kennen. Auf dem Weg, Rhiannons Vertrauen zu gewinnen, passiert A ein Malheur: Im Körper von Nathan läuft seine Zeit zu früh ab, er hatte zu lange Spaß auf einer Party mit der Angebeteten, und der Junge wacht in einem Straßengraben auf. Die Geschichte wird medial, Nathan nimmt E-Mail-Kontakt zu A auf, Priester und fanatische Christen sind überzeugt, dass der Teufel in Nathan gefahren ist … Und Nathan ruft all die Jugendlichen auf, denen A ebenfalls einen Tag gestohlen hat. Dabei will A doch nur Rhiannon lieben.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Spazieren gegangen
- Weiter an der frischen Luft geblieben
- An eine Banane gedacht (Hunger!)
Mein Eindruck zu „Letztendlich sind wir dem Universum egal“:
Meiner Meinung nach ist „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ein Buch, das zu lesen es sich auf jeden Fall lohnt. Nicht nur für Jugendliche, sondern als All-Age-Titel. Es macht Spaß zu lesen und die Spannung geht niemals weg, auch wenn die Geschichte sehr langsam erzählt wird und wir uns nie an einen festen Ort binden oder uns Situationen wirklich bildhaft vorstellen können. Einige Schwächen habe ich jedoch zu beklagen, mehr dazu im Folgenden der Rezension.
Stärken des Buchs:
Die Idee von „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist genial. Ich wünschte, ich wäre selbst auf diese oder eine ähnliche Idee gekommen – wobei, das bin ich bereits. Doch mir ist nie in den Sinn gekommen, solch eine Idee so weit zu Ende zu führen, dass auch die daraus entspringende Geschichte ein formidables Ende erhält. Und das hat „Letztendlich sind wir dem Universum egal“. Ein ordentlicher Spannungsbogen, nachvollziehbare Handlung und Entwicklung und ein Ende ohne Knall, aber mit dem Gefühl, dass die Geschichte nun wirklich beendet ist.
Interessant fand ich, wie David Levithan die vielen Probleme, die sich durch As Körperwandel ergeben, behandelt hat. A ist immer auf Moral und Ethik bedacht, er würde niemals an einem Tag, an dem er die Macht über Person X, Y oder Z hat, diese bloßstellen, jemanden töten oder sonst irgendwas ausprobieren, das Konsequenzen hat: Auch wenn er es selbst straflos könnte. Auch die Geschlechtszugehörigkeit von A spielt in „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ eine Rolle. Oder eher: Sie spielt keine Rolle. Nur, weil A sich in Rhiannon verliebt, heißt das nicht, dass A ein Kerl ist. Mal ist er schwarz, mal weiß, mal reich und giftig, mal arm und freundlich. Er ist ein Schwuler auf der Gay Parade, eine Transperson, die zu sich steht, obwohl die eigene Transformation noch nicht durchlaufen ist, er ist eine Lesbe in einer sehr glücklichen Beziehung und er ist ein innerlich totes, depressives Mädchen mit einem Tagebuch, das aus Selbstporträts des eigenen Abgangs besteht.
A und damit auch David Levithan geht respektvoll mit den Leben anderer um, das Thema Selbstmord sowie LGTBQ+-Identitäten und viele weitere Eigenheiten werden so beleuchtet, wie sie für ein Jugendbuch sein sollen: Nahbar und nicht fremd. Dazu trägt natürlich auch As „Ich“-Perspektive bei. Doch die Charaktere haben auch massive Schwächen, zu denen ich sofort im nächsten Absatz kommen möchte.
Schwächen des Buchs:
Die Charaktere in „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ bleiben grundsätzlich einmal blass. Natürlich kannst du an einem Tag nicht so viel über eine Person herausfinden, dass sie dir am Herzen liegt, aber es gibt keinerlei tiefgehende Charakterentwicklung, die der Autor angestellt hat. Wenn ich mich mit meinen Figuren intensiv beschäftige, kann ich durch kleine Hinweise wie Fotos an der Wand im Schlafzimmer, durch die wörtliche Rede, die Eltern, Freunde oder Geschwister der Person entgegenbringen, irgendetwas über die Menschen offenbaren. Darauf verzichtet David Levithan komplett.
Klingt fies, aber: „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist kein schönes Buch. Es gibt keinerlei Beschreibungen, nichts, das im Kopfkino irgendwie zum Leben erwacht, nur ganz selten verirren sich Bilder in den Kopf des Lesers.
Er hat auch darauf verzichtet, Rhiannon eine Charaktereigenschaft zu geben. Es gibt keinen Grund, sie zu lieben, weil sie schlichtweg keinen Charakter hat. Keine Hobbies, keine Freunde. Natürlich hat A keine Gelegenheit, diese kennenzulernen, aber selbst wenn sie über ihre Kindheit sprechen, und das kommt ausdrücklich so vor, wird der Erzähltext einfach vorgespult und der Leser bekommt Rhiannon nicht zu fühlen.
A propos nicht fühlen: Klischee-Alarm! Es gibt die verwöhnte Zicke, die Leute wegen Kleidungsstil mobbt und Mitläuferinnen hat, die sich an ihre Mode-Regeln halten (Wie die Plastics in „Girl Club – vorsicht bissig!“), es gibt den eifersüchtige Freund, der die eigene Freundin schlecht behandelt und Gewalt anwendet, wenn er sie mit wem anderes erwischt, es gibt Football-Spieler-Brüder, die allesamt dumm sind und Bibliotheken „für Mädchen“ finden, und als A in einem extrem schönen sexy Mädchen steckt, wird er natürlich für einen Eifersuchtstest benutzt.
Dazu kommt auch das Klischee des fetten Teenagers. Body Shaming auf niedrigstem Niveau! An einem Tag steckt A im Körper eines Fettwanztes (so nennt A seinen unfreiwilligen Gastgeber selbst). 140 kg schwer, jeder Schritt ist schwerfällig, sein Fett quillt über den Kinosessel, sodass er einen Sitz zwischen ihm und seiner Verabredung freilassen muss. Natürlich liebt Rhiannon ihn nicht, wenn er so aussieht und so viel wiegt, will nicht einmal seine Hand halten. 33 % der Amerikaner sind übergewichtig, aber jetzt, mit 16, an Tag 6000-irgendwas, ist A das allererste Mal in einem solchen Körper?! Und natürlich empfindet A alles als schwerfällig, schwitzt bei jedem Schritt und der fette Typ hat keine richtigen Freunde, alle schauen ihn angeekelt an … Ja, genau so sollte man Übergewichtige in der Literatur NICHT darstellen, nicht wenn man nicht auch die anderen Menschen mit Übergewicht beleuchtet hat. Es gibt sportliche dicke Frauen, fleißige und intelligente dicke Männer, durch Krankheit adipös gewordene Menschen. Und es ist natürlich mal wieder der Fresssack, um den es geht.
Als letzte Schwäche möchte ich die Cover von „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ erwähnen: Es gibt auf dem originalen Buchcover keine vielen verschiedenen Gesichter. Schau es dir genau an: Es ist copy / paste, es gibt Wiederholungen. Selbst bei Illuminae auf vier Opferseiten im Innern des Buches, die sicherlich nicht dazu da sind, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen wie das Buchcover eines Bestsellers, gab es keine Wiederholungen von Gesichtern. Vielleicht liegt das auch an meiner Synästhesie und dem Zwang meines Hirns, Muster zu erkennen, aber mir fiel es quasi sofort auf.
Ach ja, am Rande bemerkt: Das Cover des Films ist ein schlechter Witz. Weißes Hetero-Mädchen küsst weißen Hetero-Jungen. Wunderkerzen, die im Buch nicht vorkommen. Keinerlei Bezug zum Inhalt, nur Großumsatz-Magnetismus.
Mein Fazit zu „Letztendlich sind wir dem Universum egal“:
„Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist ein Jugendbuch, das mit viel Mühe und Liebe geschrieben wurde. In diesem Titel steckt eine Menge, aber es ist nicht genug. Nicht für mich, für meine Erwartungen. Ein solches Thema hat unfassbares Potential. Doch David Levithan hat dieses Potential meiner Meinung nach nicht ausgeschöpft. Neben dem vagen Gefühl, dass etwas fehlt, was ich nicht genau bestimmen kann, bleibt die Ernüchterung über die Blässe dieser Geschichte. „Letztendlich sind wir dem Universum egal“ ist definitiv lesenswert und spannend, romantisch und fesselnd, und vielleicht stören dich die Schwächen nicht so sehr wie mich.
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Letztendlich sind wir dem Universum egal
David Leviathan
erschienen bei Fischer FJB
27. März 2014
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Kia liest. Nicht nur Sachbücher zur persönlichen Entwicklung und Schreibratgeber, sondern auch Entwicklungsromane, nerdige Science Fiction und alles, was zwischen Utopie und Dystopie ein bisschen Drama angereichert hat. Beim Buchensemble gibt sie hin und wieder Einblicke in ihre Reiseberichte, die sie beim Durchqueren spannender Welten anfertigt.