Humorvolle Empörungsvorlage – Machen Sie sich frei [Rezension]

Humorvolle Empörungsvorlage – Machen Sie sich frei [Rezension]

Sind unsere Gedanken frei? Sind wir eigentlich frei? Gibt es einen freien Willen? Vince Ebert widmet sich in seinem Buch „Machen Sie sich frei“ dem Begriff der Freiheit und spricht dabei mir vielen Menschen, die unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen haben. Mit dabei sind eine Domina, ein Bankräuber oder etwa ein Drogensüchtiger. Dabei ging der Autor schon 2011 Themen wie Minimalismus, Konsum, freier Marktwirtschaft und Sexualität nach.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Snack!
  2. Nur Nebel und Wolken draußen gesehen
  3. Aus dem Flugzeug ausgestiegen

Mein Eindruck zu Machen Sie sich frei: Sonst tut es keiner für Sie:

Meinen Eindruck zu „Machen Sie sich frei: Sonst tut es keiner für Sie* kann ich nur darstellen, wenn wir daran denken, dass das Buch 2011 geschrieben wurde und dass ich es Ende Dezember 2018 gelesen habe. Hätte ich das Buch 2011 gelesen, wäre meine Meinung ganz anders. Daher ist diese Rezension auch eine Besondere: Ich vergleiche das Heute mit dem Damals, und in diesem Aspekt ist „Machen Sie sich frei“ zwar ein nettes Buch, bricht aber so viele Tabus, dass es mehr als nur kritisch gesehen werden sollte.

Ich halte das Buch für humorvoll, aber nicht witzig. Es ist differenziert, aber nicht tiefgründig. Es spricht Wahrheiten an, aber Vince Ebert hat die Weisheit natürlich nicht mit Löffeln gefressen. Habe ich auch nicht erwartet. Ich habe ein lockeres Werk mit Witz und interessanten Infos erwartet und auch bekommen.

Stärken des Buchs:

Hinter „Machen Sie sich frei“ steckt eine Menge Arbeit. Vince Ebert ist viel gereist und hat eine Menge Erfahrungen gemacht, um dieses Buch zu verfassen. Das merkt man definitiv, und daher möchte ich das als Stärke des Buchs honorieren. Viel mehr kann ich dazu aber nicht an dieser Stelle sagen, weil ich in der Schwächen-Abteilung auf diese zunächst als Stärke deklarierte Eigenschaft eingehen werde.

Stark ist, wie ich es von Rowohlt kenne, die Rechtschreibung. Grammatik und Buchsatz sind auch ausgezeichnet. Ein durch und durch gut gemachtes Buch. Mir gefielen auch sehr die farbigen Einschübe zwischen den Kapiteln. Nach den Kapiteln gibt es jeweils zwei Seiten mit lila Hintergrund (einmal auch random blau, warum auch immer) und violetter Schrift, in der es um die Gesprächspartner geht.

Machen Sie sich frei – sonst tut es keiner für Sie, Foto: Kia Kahawa
Machen Sie sich frei – sonst tut es keiner für Sie, Foto: Kia Kahawa

Stil und Aufmachung

Stark fand ich auch Vince Eberts Vergleiche und Analogien. Homöopathie sei zum beispiel, als werfe man einen Autoschlüssel in den Main in Frankfurt und versuche, mit dem Mainwasser aus Würzburg das Auto zu öffnen. Ich hätte mich weggeschmissen bei diesen Worten auf Seite 142, wäre ich nicht in einem Flugzeug gewesen, als ich das Buch gelesen habe.

Positiv fielen mir auch die kurzen Kapitel auf, die das Lesen sehr schnelllebig gemacht haben. Ich bin ja ohnehin seit „Die Optimierer“ ein Fan von kurzen Kapiteln. In der Kürze liegt die Würze: Die Kapitel sind informativ und bieten einen Mix aus Witz und Ironie. Parade-Beispiele sind hier die Kapitel über Erziehung (Witz / Ironie) und das über die Biochemie der Sucht (Information). Trotz der Schwerpunkte kam die jeweils andere Seite immer auf ihre Kosten. Klasse!

Mit sprachlichen Kleinkunstwerken wie der „Eleganz eines Kachelofens“ (S. 200) erfreute mich Vince Ebert beim Lesen immer wieder, und wenn man sich nur die Stärken ansieht, könnte dieses Sachbuch ein 5-Sterne-Buch sein. Dann kommt das „Aber“ und ich widme mich den Schwächen.

Schwächen des Buchs:

Wir haben 2018. Das Buch ist aus 2011. Das ist wichtig für die folgenden Kritikpunkte, nicht aber für den ersten. Vince Ebert hat ein extrem rückständiges Bild von Männern. Ich weiß nicht, ob es wirklich sein eigener Eindruck ist, oder ob es der Zielgruppe des Buches geschuldet ist, die definitiv älter ist als ich. (An einigen Stellen im Buch geht Vince Ebert davon aus, ich als Leserin hätte den Mauerfall miterlebt.) Was sich allerdings um Männer und Frauen dreht, ist sexistisch und hätte mit Sicherheit 2011 schon einige negative Kommentare, 2018 einen ausgewachsenen Shitstorm im Netz hevorgerufen.

Das Kapitel über Gefängnisaufenthalte und Kriminalität ist sehr oberflächlich und flach. Ich hätte mir mehr Infos gewünscht und sehe, dass es nicht an Vince Ebert liegt. Dem Buch wurden gewisse Vorgaben gemacht, was Kapitellängen und thematisches Spektrum angeht, jedenfalls gehe ich davon aus. Allgemein hätte „Machen Sie sich frei“ locker 300 Seiten und deutlich mehr Tiefe gut getan.

Zu wenig Raum für Interviews

Schwach fand ich auch, wie die Interviewpartner im Buch vorkamen. Nämlich fast gar nicht. Sie wurden vorgestellt, um die Kapitel miteinander zu verknüpfen und Herrn Ebert ein bisschen zu entlasten, aber da ballert der Autor einen beeindruckenden kurz angerissenen Lebenslaufausschnitt auf die lila Seiten und geht danach mit keinem Wort mehr auf die Persönlichkeiten ein. Das ist sehr schade und lässt das Buch ungewollt schlank wirken.

Sexismus

Ich muss noch einmal auf den Sexismus zurückkommen. An einigen Stellen fragt man sich wirklich, ob ein denkendes Wesen dieses Buch gelesen hat, bevor es abgenickt und gedruckt wurde. Beim Thema „Kein Sex vor der Ehe“ sagt Vince Ebert, man solle sich fragen: „Vielleicht liegt’s ja auch an mir“ (S. 167). Die Möglichkeit der sexuellen Selbstbestimmung abseits gesellschaftlicher Erwartungen bezieht er nicht in Betracht. Beim Thema Feminismus erzählt er, dass eine Prinzessin namens Kate als berufliche Tätigkeit nach ihrer Hochzeit mit dem dazugehörigen Prinzen nichts anderes mehr tut, als Schiffe zu taufen und „in teuren Designerkostümchen an der Seite ihres Mannes hübsch“ zu sein (S. 164).

Das mache laut Vince Ebert Alice Schwarzers Kampf für Emanzipation zunichte. Ich störe mich daran, dass Menschen wie Vince Ebert Emanzipation als eine Einbahnstraße sehen, in der alle Frauen jetzt bedeutungsvolle Arbeit erledigen müssen. Es ist im Rahmen der Selbstbestimmung völlig in Ordnung, Modepüppchen, Aushängeschild des reichen Mannes oder Hausfrau zu sein, und das übrigens auch für Männer. Selbstbestimmung gibt es an diesen Stellen nicht. Ich reagiere auf das Thema nicht empfindlich, weil ich Feministin bin, bezeichne mich lieber als Antisexist, aber darum geht es nicht. Mir geht es eher darum, dass „Selbstbestimmung“ keinen Platz in einem Buch zum Thema „Freiheit“ hat. Zumindest nicht an den Stellen, an denen sie 2018 so unendlich wichtig ist.

Die arme Exfrau

Abgesehen davon weiß ich nicht, in wiefern Vinces Exfrau Gudrun existiert. Wenn sie wirklich existiert und wirklich diesen Namen hat, dann verstehe ich nicht, wieso sie damit einverstanden ist, wie sie im Buch dargestellt wird. Gudrun scheint nicht nur dämlich, sondern in vielen Lebensbereichen hilflos, dumm und oberflächlich. Ich hoffe sehr, dass da nicht wirklich eine Exfrau so sehr durch den Dreck gezogen wurde, sondern dass sie ein nicht existentes Stilmittel der Komik ist. Etwas in mir lässt mich aber befürchten, dass diese Frau wirklich existiert. Und dass sie vielleicht gar nicht weiß, wie sie in diesem Buch dargestellt wird und was Lesende dann über sie denken. Und das ist schon hart schlimm, wenn man etwas mehr darüber nachdenkt.

Mein Fazit zu Machen Sie sich frei:

Machen Sie sich frei: Sonst tut es keiner für Sie* lässt sich gut lesen. Aber: Es ist eine Sammlung von Empörungsvorlagen. Bei all den Leuten auf Twitter, die sich sogar von „Kunde“ statt „Kundin“ im Sparkassen-Vertrag sehr verletzt fühlen, kann ich mir nicht vorstellen, dass „Machen Sie sich frei“ heute nicht zu einem riesigen Shitstorm führen würde. Heutige Social Media Leute würden sich über jede einzelne Seite empören, verletzt und angegriffen fühlen, und daher sollte man dieses Buch nur lesen, wenn man nicht zu dieser überempfindlichen Gruppe gehört und sich nicht an Sexismus stört, wenn er nach altem deutschen Humor à la Mario Barth gemeint ist.

Abgesehen von all meinen Schwachpunkten möchte ich diese Rezension mit einem Zitat enden, das Vince Ebert gut gelungen ist. Als Komiker sei es nämlich seine Pflicht, sich „mit Tabus und Denkverboten zu beschäftigen“ (S. 146). Eine gute Entschuldigung für all das, was mir sauer aufgestoßen ist. Ob das eine General-Erlaubnis ist, weiß ich nicht, aber das Buch hat definitiv seine Daseinsberechtigung und kann als „gut“ bewertet werden.

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Machen Sie sich frei: Sonst tut es keiner für Sie

Vince Ebert

Humor Sachbuch
Softcover, 224 Seiten

erschienen bei Rowohlt

01. September 2011

ISBN 978-3-499626517
9,99 € bei Amazon*

 

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