Warum Autorinnen und Autoren lesen sollten
Autoren schreiben, Autoren lesen.
Beim Buchensemble sind alle Rezensent*innen gleichzeitig auch Schriftsteller. Als Autoren wollen wir unseren Rezensionen eine gewisse Tiere verleihen und wurden schon das ein oder andere Mal für unsere Perspektive bei Buchrezensionen gelobt.
Aber dahinter steckt noch mehr: Wir sind der Meinung, dass Autor*innen lesen sollten. Frei nach Kia, das bin ich: Je mehr du liest, desto Autor. Je mehr wir Schriftstellerinnen lesen, desto mehr verstehen wir auch von unserem Handwerk.
Magret sagt: „Ich glaube, als Autor*in ist es nicht möglich, beim Lesen nicht zu lernen. Ich verstehe auch Schreibende nicht, die selbst nicht lesen. Wie kann man sich so sehr für ein Medium interessieren und gleichzeitig nicht?“
Autoren lesen im Alltag
Aus unserem Alltag ist das Lesen nicht mehr wegzudenken. Wir lesen gerne, in toter Zeit wie in Bahn und Bus, aber auch ganz achtsam in einer Lesesession in unserer Freizeit. Dabei haben wir unterschiedliche Herausforderungen: Die einen nehmen sich vor, mehr zu lesen, und der Alltag kommt dazwischen, die anderen können sich einen Tag ohne Lesestoff gar nicht mehr vorstellen.
Marlen sagt: „Lesen ist lernen. Jeder Autor sollte den anderen Autoren und den Lesern ein Lehrer sein. Was kann ich besser machen? Was würde meiner eigenen Kunst gut stehen? Diese Fragen stelle ich mir beim Lesen immer wieder. Vor allem, wenn ein Buch herausragend gut oder beeindruckend durchschnittlich war.“
Jedes Buch schenkt uns Worte, die neue Gedanken freisetzen. Curly meint, lesen helfe ihr, den Fokus nicht zu verlieren und bei sich zu bleiben. Wiebke hingegen sagt, sie lese teilweise, um sich von ihren eigenen Büchern abzulenken und den Geist freizubekommen.
In einem Punkt sind wir uns aber alle einig: Lesen bringt uns in neue Welten. Wir klinken uns aus dem Alltag aus und tauchen ein in neue Welten. Dabei wird, ganz nebenbei, unser Horizont erweitert.
Curly sagt: „Im Alltag entspannt mich [das Lesen], verkürzt mir nicht nur die Wartezeit an der U-Bahn-Station, sondern schenkt mir auch Worte, die neue Gedanken freisetzen. Im Beruflichen ist Lesen nicht mehr wegzudenken. Es hilft mir, den Fokus nicht zu verlieren und bei mir zu bleiben – selbst, wenn ich dafür eine andere Geschichte hineinstolpere. Ein Tag ohne Lesen – sei es wissenschaftlicher Text, ein Buch, ein Hörbuch oder ein informativer Artikel im Internet – kommt mir nicht mehr unter die Woche.“
Wiebke sagt: „[Lesen hilft mir], mich von meinen eigenen Texten abzulenken. Wenn gar nichts mehr geht, hilft es mir manchmal ein Buch in die Hand zu nehmen und die Welten anderer abzutauchen.“
Neue Wege, Recherchetools und Marktanalyse
Liest eine Autorin Bücher, so lernt sie jede Menge. Wir erweitern passiv unseren Wortschatz und merken unbewusst, welche Formulierungen oder Plot-Bestandteile uns selbst gefallen und welche nicht.
Viellesende merken, welche Gemeinsamkeiten Bücher eines Genres haben, was sich am Markt gut verkauft und können unter Umständen sprachlich freier werden, wenn sie unterschiedliche Schreibstile lesen und den Mut entwickeln, sich selbst ohne inneren Kritiker im Kopf auszuprobieren.
Sophie beschreibt Bücher in diesem Zusammenhang als „Recherchetool“.
Sophie sagt: „Erstens hilft mir das Lesen, wie auch allen anderen, mich aus dem Alltag auszuklinken, einfach abzuschalten. Zweitens versuche ich, möglichst stilistisch unterschiedliche Bücher zu lesen, um verschiedene Stile kennenzulernen. Drittens lassen mich Bücher in andere Lebensrealitäten eintauchen, viel mehr als ein Film oder eine Serie das könnte. Lesen ist sozusagen das zweitbeste Recherchetool neben dem Selbsterleben.“
Insgesamt gehen wir also neue Wege und erweitern unseren Horizont, wenn wir Bücher lesen.
Doch man kann auch auf den falschen Pfad kommen:
Ich habe es im letzten Jahr bereits auf meinem Autorenblog thematisiert und die ein oder andere Schreibkrise und -blockade gehabt, wenn ich zu gute Bücher lese. Für mich ist es schwierig, meinen eigenen Stil beizubehalten, wenn ich eines der beim Buchensemble von mir mit fünf Sternen bewerteten Büchern lese.
Ein richtig gutes Buch weckt in mir das Gefühl, es sei das perfekte Buch. Das eine, einzige, niemals reproduzierbare perfekte Buch, an dessen Stil ich nie herankommen werde. Ich sauge den Stil des Autors auf und bringe ihn in meine eigene Schreibe. Das ist schwierig und hat mich schon so manches Kopfzerbrechen gekostet.
Schlimmer noch: „Nachruf auf den Mond“ von Nathan Filer hat mir zeitweise den Glauben an mein eigenes Manuskript gestohlen. Ich wollte als Autor lesen, um mehr über mein Genre zu erfahren, und las mir meinen Selbstwert runter.
Nachdem ich für mich die Erkenntnis hatte, dass fünf belletristische Bücher im Monat zu viel für mich sind, und dass es meinem Schreiben eher guttut, wenn ich spazieren gehe und die kreative Energie mit weniger Input auftanke, funktioniert es wieder mit mir und dem Schreiben.
Ich glaube, wir alle brauchen eine gewisse Balance.
Denn dann eröffnen sich durch das Lesen herrliche Effekte:
Magret sagt: „Lesen zeigt mir neue Wege, mit Sprache und Geschichtenerzählen umzugehen. Immer wieder ist es spannend, wie andere Regeln auf Weisen brechen, wie ich es nie möglich gehalten hätte. Dazu erkenne ich, welche Dinge welchen Effekt auf den Leser haben. Das ist sehr wertvolles Wissen. Letztendlich kann ich so auch viel erleben, was meiner Meinung nach nicht funktioniert und was ich anders machen möchte.“
Dean sagt: „Lesen bildet jeden und erweitert den Horizont. Es erweitert zudem unser Verständnis für andere und unser Ideenreichtum. Als Autor kann es auch zur Marktanalyse und Informationsquelle in Bezug auf die Leserzielgruppe dienen. Ich halte lesen auch für die größte Inspiration zum Thema Sprachgebrauch, Ausdruck und Schreibstil.“
Wiebke sagt: „Als Autorin lerne ich zunächst einmal sehr viel von anderen Texten. Das sind nicht immer konkrete Erzählweisen, sondern manchmal auch nur die Art, Figuren agieren zu lassen, Namen zu vergeben oder ein bestimmtes Setting zu gestalten.“
Autoren lesen, um den Horizont zu erweitern
Gerade die Aussage, inwiefern Lesen den Horizont schreibender Personen erweitert, klingt für mich besonders spannend. Also haben wir uns zusammengesetzt und uns gefragt, was wir als Autoren für unsere Karriere aus belletristischen Texten gelernt haben.
Hey, Buchensemble!
Habt ihr schon einmal etwas aus dem belletristischen Lesen für eure Autorenkarriere gelernt?
Curly sagt: „Ja. Die Struktur und der Aufbau eines Romans, wie unterschiedlich der Schreibstil eines Autors ist und wie unterschiedlich er definiert werden kann: Das Handwerk und die Grundstrukturen eines Romans lassen sich gut an Büchern erkennen und erlernen. Darüber hinaus habe ich aus vielen belletristischen Büchern Lebensweisheiten und Alltagsphilosophien ziehen können, die natürlich auch meine Karriere als Autor bereichert haben.“
Marlen sagt: „Sehr, sehr viel. Eigentlich alles. Nachdem es ja keine Lehre für Autoren gibt, habe ich all mein Wissen aus der Lektüre aller Bücher, die ich jemals gelesen habe, zusammengetragen. Von Charakterbau über Handlung bis hin zur Sprache: ohne fremde Bücher geht es einfach nicht. Als meine ersten Lehrmeister gelten daher nach dieser Ansicht die Brüder Grimm, Mira Lobe, Thomas Brezina und diverse andere Kinderbuchautoren.“
Das Buchensemble ist sich also einig:
Autoren und Autorinnen sollten lesen. Durch belletristisches Lesen lernen wir:
- Struktur und Aufbau von Romanen
- Schreibstil
- Sprache
- Alltagsphilosophien und Lebensweisheiten
- Charakterbau
- Handlung und Plot
Was klingt wie ein sinnvolles Programm eines Schreibratgebers, ist ein natürlich und langsam wachsender Lernprozess, der jede und jeden von uns begleitet, wenn wir Bücher lesen.
Dean sagt: „Zwischen den Zeilen steht praktisch alles, was man wissen muss. Gute Bücher zeigen uns, was wir in unseren eigenen Büchern lesen wollen. Ich habe gelernt, wie man Spannung aufbaut, den Leser fesselt, umwerfend schreibt. Ohne zu lesen, findet man das nicht heraus.“
Künstler brauchen Ideen und Orientierung
Als Schriftsteller sind wir Künstler*innen. Warum sollten Autoren lesen und Künstler Kunst betrachten? Es geht auch gemischt.
Künstler brauchen Inspiration und Ideen, dazu aber unbedingt auch Ziele und Orientierung. Denn das Klischee des chaotischen Künstlers stimmt, selbst bei uns literarischen Kunstschaffenden. Äußert sich das Chaos nicht auf dem Schreibtisch, dann im Kopf. Wir haben mehr Ideen, als wir jemals zu Papier bringen können, und am liebsten hätten wir den aktuellen Roman schon längst in eine siebenbändige Reihe verfrachtet und an einen großen Publikumsverlag verkauft.
Ich finde, wir können viel von anderen Künstlern lernen. Von „Haus aus“ bin ich Musikerin, bin in der Literaturbranche eine Art Quereinsteigerin. Und ich wage zu behaupten, dass Kreativitätstechniken, Projektmanagement und Inspiration durch Musik nicht nur für mich als Komponistin und Produzentin, sondern auch für meine Schriftsteller-Karriere anwendbar sind.
Vor allem, wenn ich etwas Neues probieren möchte und das Gefühl habe, meine Wege seien ausgelatscht, hole ich mir Inspiration beim Theater, in der Musik (denn auch eine Sinfonie hat einen Plot!) oder starre die Bilder in Museen an, die von den meisten die wenigste Aufmerksamkeit bekommen.
Sophie sagt: „Ich liebe das Genre des Künstlerromans und nehme daraus ganz viel mit, was meine eigene Karriere als (literarische) Künstlerin betrifft. Wie gehen andere Kunstschaffende mit Kreativität, Inspiration, Erwartungen etc. um? Wie lieben sie, wie leben sie, wie sieht ihr innerer Schaffensdruck aus, wie ihr Schaffensprozess?“
Sophie trifft den Nagel auf den Kopf.
All die Inspirationen bei anderen Künsten können wir uns durch Bücher holen. Sie vereinen, was bewegt mit Worten und bringen uns nicht nur frischen Wind, sondern eine völlig neue Perspektive.
Darum sollen Autoren lesen
Lesen bringt uns weiter. Wenn Autoren lesen, reifen sie.
Wir lernen unser Handwerk, indem wir Bücher lesen. Gleichzeitig sind belletristische Bücher ein Stück Heimat, ein Fluchtort, sorgen für Fokus oder Zerstreuung.
Die Dosis macht das Gift – zu viel zu lesen kann in Kombination mit Verbissenheit ungesund für das eigene Schreiben sein. Zu wenig lesen ist kaum denkbar. Ich bin sicher, wir werden als Personen nach einer gewissen Zeit ohne Bücher unausstehlich. Jedenfalls in mir verlangt alles regelmäßig nach entspannter Lesezeit.
Das Schlusswort möchte ich Wiebke überlassen, denn über diesen Satz kann man eine Weile nachdenken:
Wiebke sagt: „Aus der Belletristik habe ich gelernt, dass Autor*innen meist jene sind, die am Ende verhungern, den Freitod wählen oder einsam in einer düsteren Kammer sitzen und frieren. Aber: Sie haben sich alle ganz bewusst [für die schwierige Schriftsteller-Karriere] entschieden. Und das mache ich auch.“
Wie sieht es bei dir aus? Findest du noch mehr gute Gründe, weshalb Autorinnen und Autoren lesen sollten? Was hast du schon aus der Belletristik für dich gelernt, und kennst du andere Schreibende, die über Bücher bloggen?
Erzähl uns davon in den Kommentaren!
Übrigens: Philipp von Gedankennomade.net hat sich ähnliche Gedanken gemacht wie wir. In seinem Artikel setzt er sich mit der Frage auseinander, warum wir Klassiker der Literatur lesen sollten.
Kia liest. Nicht nur Sachbücher zur persönlichen Entwicklung und Schreibratgeber, sondern auch Entwicklungsromane, nerdige Science Fiction und alles, was zwischen Utopie und Dystopie ein bisschen Drama angereichert hat. Beim Buchensemble gibt sie hin und wieder Einblicke in ihre Reiseberichte, die sie beim Durchqueren spannender Welten anfertigt.