Alles Liebe, Laura – Keine Lilien

Alles Liebe, Laura – Keine Lilien

CN: Suizid, Trauer, psychische Krankheit

„Keine Lilien“ ist ein in Fragmenten gehaltener Roman von Laura Neunast, der sich um den Suizid eines geliebten Menschen dreht, um Liebe, die war, ist und bleibt, um psychische Krankheit vor, während und nach der Krise. F. hat sich umgebracht und seine Partnerin bleibt mit der Aufgabe der Auf- und Verarbeitung zurück.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Freund*innen gefragt, wie es ihnen geht.
  2. Versucht, mir im Spiegel in die Augen zu sehen.
  3. Nachgedacht über die richtigen Worte über Worte über Unaussprechliches.

Vor dem Buch

Laura Neunast habe ich durch ihren Gedichtband „Liebe in Zeiten der psychischen Krankheit“ kennengelernt, folge ihr seitdem auf Twitter und wollte daher ihr zweites Buch ebenfalls lesen. Da die Menschen um mich herum um meine eigene nicht immer stabile psychische Gesundheit wissen, habe ich „Keine Lilien“ trotz ausdrücklichem Wunsch nicht zum Geburtstag geschenkt bekommen und sah mich gezwungen, bei der Autorin ein Rezensionsexemplar zu erfragen. Ich habe eines erhalten.

Mein Eindruck zu „Keine Lilien“:

Wer Laura Neunast aka Komodowaranin oder ihren Gedichtband kennt, kann erahnen, dass „Keine Lilien“ weder emotional sanft noch auf Kompromisse ausgelegt ist. Hier geht es um Trauer und Verlust. Das kann (emotional) anstrengend sein und ist nicht für jede*n in jeder Situation geeignet. Dessen sollte man sich klar sein, bevor man „Keine Lilien“ liest. Um belastend zu sein und mitzureißen, braucht ein Buch allerdings auch Qualität, und diese Qualität ist ohne Frage gegeben.

Stärken des Buchs:

„Keine Lilien“ passt in meinem Kopf ungewöhnlich gut in eine Reihe mit Büchern wie „Hand an sich legen“ von Jean Améry oder „Tractatus Logico-Suicidalis“ von Hermann Burger. Das liegt wohl hauptsächlich am schwierigen Thema des Suizids und der vielschichtigen Bearbeitung dessen. Oder daran, dass alle drei Werke in mir hängen blieben, anstatt einfach weiterzuziehen. Während aber Burger und Améry argumentieren und philosophieren, lebt und fühlt Laura Neunast. Die Nähe zum Thema, die krasse Nähe zu F., der sich umgebracht hat, gibt „Keine Lilien“ einen immensen Mehrwert. Man spürt sich hinein.

Gleichzeitig fragt man sich, wie der Tod eines jungen Menschen einem Kunstwerk Mehrwert geben kann oder ob man einen Selbstmord künstlerisch verarbeiten sollte. Dieselben Fragen stellt sich auch die Autorin selbst, keineswegs ohne Selbstkritik und -vorwürfe, die zusammenspielen mit der ohnehin vorhandenen Geschichte psychischer Krankheit. Was aus alledem entsteht, ist ein Kreiseln, das manche von uns kennen, wenn sie von Angst, Sorge, Zweifel gepackt werden, ein Thema nicht mehr loslassen können, sich drehen und drehen um das immer gleiche Thema, ein Nachdenken über die Tat, über die mögliche eigene Schuld daran, über die Verarbeitung dessen, auch in Form von Kunst, über die Kunst selbst, und immer, immer wieder über die Liebe.

Den Stil von „Keine Lilien“ kann man dabei als lyrisch bezeichnen, aber auch als „nah dran“ oder in Parts sogar als rotzig (was durchaus positiv gemeint ist), aber das alles ist mit Können und Nachdenken gemacht. Die Theatralik und mögliche Selbstinszenierung, wenn man aus persönlichem Leiden und dem Suizid eines geliebten Menschen Kunst macht, wird nicht nur ausdrücklich besprochen, sondern auch stilistisch umgesetzt, wenn beispielsweise Teile des Buches wie Dramen verfasst werden, mit Bühnenanweisungen und Kommentaren, „cineastisch“ geradezu. Ich mag dieses Spiel mit verschiedenen literarischen Formen in „Keine Lilien“. Laura Neunast vermischt Lyrisches, Erzählerisches, Tagebuchstil, Dramenstil und sachliche Auseinandersetzung zu einem Mosaik oder eben zu einem Kreis, in dessen Zentrum der Verlust eines Menschen steht. Wie kann man so etwas packen? Wie kann man es verpacken? Diese Fragen schwingen immer mit.

Den Titel dieser Rezension habe ich der Karte entnommen, die mir die Autorin zum Buch gelegt hat. Sie ist unterschrieben mit: „Alles Liebe, Laura“. Während ich „Keine Lilien“ gelesen habe, wurde mir mehr und mehr bewusst, dass dies auch das Motto des Buches sein könnte. Es mag um die Verarbeitung eines Suizids gehen und stilistisches Kreiseln in verschiedenen literarischen Formen, um das Hinterfragen der eigenen Rolle als Autorin und Freundin, aber was das ganze Werk durchzieht, ist Liebe. Ein intensives Gefühl von Sehnsucht, die aus dem Fehlen des geliebten Menschen entstanden ist, hält das gesamte Werk zusammen. So bilden die Fragmente ein Ganzes, sie sind verdrahtet durch Liebe.

Eine große Stärke von „Keine Lilien“ ist, dass es ehrlich wirkt. Es wirkt echt. Das liegt daran, dass es echt ist. Kunst und Wirklichkeit verbinden sich, weil die Kunst aus der Wirklichkeit stammt und die Wirklichkeit nicht ausreicht, um ausreichend viel zu sagen. Diese Echtheit, diese Ehrlichkeit, wirkt manchmal brutal. Auch das mag ich. Scheinbar ungeschützt wird man dem ausgesetzt, was erlebt und ertragen worden ist. Nur scheinbar ist diese Ungeschütztheit, denn es ist eben die Kunst, die sich zwischen alles stellt, die filtriert und für Abstand sorgt. Die Literatur vermittelt hier und sorgt für Grenzen. Anders wäre es nicht zu ertragen.

Schwächen des Buchs:

Im Grunde sind mir in „Keine Lilien“ nur zwei Dinge aufgefallen, die ich mir anders gewünscht hätte. Man lernt F. leider zu wenig kennen. Er ist die meiste Zeit geschützt in einem Kokon, den die Autorin nur selten anrührt und dann ganz vorsichtig vorzeigt, als könnte er zerbrechen. Wenn F. dann doch gezeigt wird, mag man ihn sehr, weswegen man ihn gerne besser kennengelernt hätte. Vielleicht liegt diese Kritik darin begründet, dass Laura Neunast ihre Sehnsucht so gut übermittelt, dass man kaum umhinkommt, es zu bedauern, F. nicht selbst gekannt zu haben.

Nachdem man sich hat hineinziehen lassen in das Buch, ist es leider recht plötzlich vorbei. Dies könnte im Verarbeitungsprozess begründet liegen, aber mir schien der Übergang vom Hauptteil zum Ende zu knapp ausgefallen zu sein. Hier hätte es runder laufen können. Weil mich „Keine Lilien“ wieder in einen konstanten Kreislauf des Selbsthinterfragens gestürzt hat, einem Modus, in dem das Buch nun einmal operiert, muss ich noch hinzufügen, dass es sein könnte, dass mir „Keine Lilien“ einfach zu kurz gewesen ist, ich gerne mehr von Laura Neunast gelesen hätte und mir deshalb das Ende zu plötzlich kam.

Mein Fazit:

Laura Neunast bearbeitet in „Keine Lilien“ ein schwieriges und sehr persönliches Thema, was ihr ausgezeichnet gelingt. Sie bleibt vage in den Dingen, für die es keine Worte gibt, und spricht sehr direkt über alles andere.

„Keine Lilien“ ist kein einfaches Buch, aber ein lohnendes. Es passt übrigens auch super zum Gedichtband „Liebe in Zeiten der psychischen Krankheit“, den ich ebenfalls empfehlen kann.

Du willst mehr von Matthias lesen? Hier gelangst du zu seinen Rezensionen.



Keine Lilien

Laura M. Neunast

Gegenwartsliteratur
Softcover, 112 Seiten

erschienen bei re:sonar

23. Januar 2022

ISBN 978-3-949048210

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