Unabhängig vereint – Hier treffen sich fünf Flüsse [Rezension]

Unabhängig vereint – Hier treffen sich fünf Flüsse [Rezension]

In „Hier treffen sich fünf Flüsse“ von Barney Norris geht es um fünf Geschichten, die sich zart an einigen Stellen berühren. Das Buch beginnt ganz unscheinbar mit der Geschichte „Ein Turm wie ein brennender Pfeil“, der die Entstehungsgeschichte Englands und Salisburys beschreibt und weitestgehend geheimnisvoll bleibt. Fahrt nimmt die Geschichte auf mit „Die andere Stadt“. Rita ist alt, Blumenhändlerin, Grasdealerin und leidet unter ihrem Leben. Die Vergangenheit holt sie ein, davon erzählt sie dem Leser, und ihre Familie hat den Glauben an sie verloren und verstößt sie. Sie entschließt sich, ihr Leben hinter sich zu lassen und fährt mit dem Moped weg. Hauptsache weg, was zum Henker sie mit ihrer Zukunft anstellen wolle, würde sie schon noch merken.

Dann kommt es zum Unfall. Ein Auto fährt seitlich in das Moped, und einige Menschen beobachten den Unfall. In „Ein Fluss, der sich kräuselt wie Rauch“ geht es um einen Jungen, der auf einer Jungsschule ist. Sein Vater hat Krebs und liegt im Krankenhaus, aber gleichzeitig versucht er, sein jugendliches Leben zu handlen, die Chorproben zu überstehen und endlich das Mädchen anzusprechen, das ihm gefällt.

Die vierte Geschichte, „Den Sternen so nah wie möglich“, handelt von einem Farmer, der von der Polizei verhört wird. Er erzählt von seiner Liebe und wie es zu diesem furchtbaren Unfall mit dem Moped kommen konnte.

Die fünfte Geschichte, „Tief mitten im Nirgendwo“ besteht aus Tagebucheinträgen. Eine Mutter und Ehefrau spricht darin zu ihrem Mann, der in der Armee dient. Sie hat einen Unfall beobachtet und versickert in ihrer Depression. Dann kommt ihr Sohn zu Besuch, und sie weiß nichts mit ihm anzufangen, wie sie schon nichts mit sich anfangen kann.

Am Schluss entführt uns „Hier treffen sich fünf Flüsse“ wieder zu „Ein Turm wie ein brennender Pfeil“, und all die unabhängigen Geschichten kommen zusammen.

Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:

  1. Das erste Kapitel erneut gelesen
  2. Gänsehaut gehabt
  3. Eine Einschlafmeditation gemacht

Mein Eindruck zu Hier treffen sich fünf Flüsse:

Das Buch „Hier treffen sich fünf Flüsse* ist besonders. Es gibt fünf unabhängige Geschichten, die keine Rätsel aufwerfen, aber dennoch dieses gewisse Aufmerken und Aha-Erlebnis im Kopf des Lesers generieren. Beim Lesen vergisst man schnell das erste Kapitel, denkt, die Geschichte um Rita sei der Beginn von allem, und schließlich nehmen die Geschichten ihren Lauf, als würde man vier unabhängige Kurzgeschichten lesen, die unbefriedigend enden. Bis die erste, die zugleich auch die letzte Geschichte ist, alle Fäden aufnimmt, das Buch abrundet und plötzlich Sinn ergibt. Dabei ist „Sinn“ angesichts der Umstände sehr weit ausgelegt. Es ergibt keinen Sinn. Und das auf eine herrlich-melancholische Art.

Stärken des Buchs:

Ich mag das Konzept von „Hier treffen sich fünf Flüsse“ sehr gern. Fünf unabhängige Geschichten handeln sich für sich selbst ab und bekommen dezente Berührungspunkte. Diese kommen beim Lesen nicht wie der Wink mit dem Zaunpfahl, sondern wie kleine Belohnungen für aufmerksame Leser, die sich noch an die Geschichte(n) davor erinnern.

Besonders stark ist in „Hier treffen sich fünf Flüsse“ übrigens die Mechanik, mit der die Geschichten miteinander verknüpft werden. Das letzte Kapitel gibt Hinweise und Rückschlüsse, die einem zwar alles erklären, aber gleichzeitig auch das Gefühl geben, dass man das hätte früher wissen können. Und daher vermisse ich einen schriftstellerisch schön formulierten Hinweis darauf, dass man nach dem letzten Kapitel bitte das erste Kapitel noch einmal lesen sollte. Denn das habe ich getan, und wow, so viel wurde vorausgesehen und in Metaphern verpackt und vermutet, und das von einem Nachtwächter, der einen nicht sehr angesehenen Beruf ohne Aufstiegschancen hat und sich dessen bewusst ist.

Die nächste Stärke soll die erste Schwäche, die ich zu diesem Buch aufzählen werde, etwas entkräften. Dieses Buch ist perfekt für Magret. Jap, ich meine Magret Kindermann, unsere Autorin und Rezensentin. Ich habe ihre Tulpologie gelesen mich über die wunderbaren Sätze ausgelassen, die man im Buch findet. Sie sind ansprechend, anspruchsvoll und sprechen aus, was niemand jemals in so schöne Worte gepackt hat. Genau das kann Barney Norris, beziehungsweise der Übersetzer Johann Christoph Maass, auch. Alle paar Sätze kommt da eine Wahrheit, die einem Tatsachen ins Gesicht klatscht und zeigt, wie wunderbar grausam unser Leben ist, was wichtig ist und worüber man ziemlich lange nachdenken könnte. An diesen Stellen ist die Eloquenz einfach nur atemberaubend schön.

Buchcover von Hier treffen sich fünf Flüsse, Foto: Kia Kahawa
Hier treffen sich fünf Flüsse, Foto: Kia Kahawa

Schwächen des Buchs:

Die Sätze sind zu lang! Es ist unfassbar schwierig, „Hier treffen sich fünf Flüsse“ in einem Rutsch zu lesen. Insgesamt empfinde ich den Schreibstil als sehr holprig und anstrengend, weshalb ich ganze zwei Monate gebraucht habe, um das Buch zu lesen. Während dieser zwei Monate habe ich immer wieder ausweichend andere Bücher gelesen, weshalb ich in dieser Zeit „Wir sind Götter“, „Kann man mal machen“, „Machen Sie sich frei“, „Einmal Mondstern und zurück“ und ein weiteres Buch gelesen habe. Wenn du auf anspruchsvollen Stoff stehst, ist dieses Buch definitiv etwas für dich. Es ist Literatur, ein wenig gehoben, und etwas zum Nachdenken und Sinnieren.

Weiterhin schwach empfand ich in diesem Buch die Stimmen der Menschen. Sie waren einmal da, zwischendurch blitzen sie hervor wie ein Stück nackte Haut am Knöchel einer Tänzerin auf einem Ball. Aber man bekommt keine Stimmen in den Kopf. Das Buch ist gefühlt entfernt und fremd, und das verändert sich auch nicht, wenn man schon Wochen mit diesem Buch verbracht oder sich durch 100 Seiten am Stück gequält hat.

Denn das ist – auch eine Schwäche – eine Qual. 100 Seiten am Stück gingen für mich kaum klar. Ich habe mich eher auf zwanzigseitige Häppchene beschränkt. Nicht, weil ich keine Zeit zum Lesen hatte, sondern weil man sehr aktiv lesen muss. Der Leser muss sich Mühe geben, um mitzukommen, sich durch die teils sieben- bis zehnzeiligen Sätze zu beißen, die nur in den seltensten Fällen von kurzen Sätzen unterbrochen werden. Dazu kommt, dass die Stimme des alten Farmers und seine Art zu denken im Grunde exakt dieselbe ist wie die des Jungen, der sich in ein Mädchen verliebt und unter der Krankheit seines Vaters leidet.

Mein Fazit:

Hier treffen sich fünf Flüsse* ist durchwachsen. Es ist kein Fünf-Sterne-Buch für meinen Geschmack, da das Lesen zu anstrengend und der Schreibstil zu monoton war. Aber Emotionen wurden gut transportiert, ich mag den literarischen Anspruch und die wahrhaftigen Aussagen. Das Thema Tod wird behandelt, und zwar auf eine ekelhaft-subtile Weise, durch die der Leser gezwungen ist, selbst über den Tod nachzudenken. Das ist grausam, aber wie ich bereits sagte: Wunderbar grausam. Allerdings empfehle ich das Buch nur Leserinnen und Lesern, die psychisch ausgeglichen, gesund und auf der Höhe sind, denn es kann echt eine Menge triggern. Das habe ich als „erfahrene Beerdigungsgängerin“, oder wie man das nennen soll, nur zuhauf gemerkt.

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Hier treffen sich fünf Flüsse

Barney Norris

Entwicklungsroman
Hardcover, 320 Seiten

erschienen bei Dumont

24. April 2017

ISBN 978-3-832198503
22,00 € bei Amazon*

 

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