Euer Merkwürden und ausradiertes Wissen – Ich und die Menschen
In „Ich und die Menschen“ von Matt Haig wird ein Alien zur Strafe auf eine Mission in einem entlegenen Winkel des Universums geschickt. Es nimmt auf dem merkwürdigen Planeten namens „Erde“ die Gestalt eines 43-jährigen Mathematikprofessors an und – na klar, verursacht einen Autounfall und läuft danach seelenruhig nackt die Straße entlang.
Es kennt die Gepflogenheiten der Menschen nicht, wird von Autofahrern, die vorbeifahren, angespuckt und grüßt freundlich zur Begrüßung zurück. So witzig das alles beginnt, steckt aber eine viel größere Mission dahinter. Das Alien versucht, in einer Tankstelle etwas zu Essen zu bekommen, sich in einer Buchhandlung zu orientieren und schließlich die Menschen zu verstehen. Da das nicht so recht gelingt und es immer noch nackt ist, landet es in einer Psychiatrie, bevor es endlich den Platz einnehmen kann, dessen Identität zuvor ausgelöscht wurde.
Die ersten drei Dinge, die ich nach dem Lesen getan habe:
- Eine Notiz im Handy erstellt
- Über 97 nachgedacht
- Den Spannungsbogen überdacht
Mein Eindruck zu „Ich und die Menschen“:
„Ich und die Menschen“ ist ein herrliches Buch. Es vereint Humor mit tiefgehender Philosophie, scheut sich aber nicht, eine spannende, konsistente Geschichte zu spinnen. Mir gefallen vor allem die Einzelheiten, die Details, an denen sich das Alien aufhängt und stutzt, weil die Menschheit wirklich komisch ist. Das sind Dinge, die wir im Alltag nicht vor Augen haben, ein Fremder aber merkwürdig findet.
Stärken des Buchs:
In „Ich und die Menschen“ will das Alien die Riemannsche Vermutung im Verborgenen halten. Der Professor, dessen Identität es angenommen hat, hat sie nämlich belegt und damit herausgefunden, nach welchem Muster sich Primzahlen häufen. Sowieso ist alles Mathematik. Kein Muster willkürlich, Musik ein Teilbereich der Mathematik. Das macht Spaß. Im Vorwort wird der Leser bereits verspottet, da er dieses Buch sicherlich nur lesen möchte, um belesen und intelligent zu wirken. Ich kann so viel sagen: Was als Spott vorausgegangen war, bewahrheitet sich und macht großen Spaß.
Merkwürdigkeiten der Menschen
Ich erwähnte sie bereits: Die Details und Merkwürdigkeiten! Die Erde wird bezeichnet als Planet der Verpackungen. Essen steckt in Verpackungen. Menschen stecken in Kleidung, Verachtung verbirgt sich im Lächeln. Die Menschen sind außerdem aus der Sicht der Aliens, die in „Ich und die Menschen“ nicht näher beschrieben werden, als primitiv bezeichnet. Sie fahren Autos ohne dass die Autos eigene Gehirne haben, sie lesen Bücher mit den Augen, statt die Inhalte als Wortkapseln zu schlucken.
Orgasmen scheinen ein zentrales Thema der Menschen zu sein, das zieht das Alien beispielsweise aus den zentralen Themen von verschiedenen Zeitschriften. Was das hochintelligente Wesen nicht aus der Sprache extrahieren und für sich anwenden kann, sind all unsere Lügen. Dinge zu sagen, die sie nicht so meinen – äußerst menschlich, äußerst merkwürdig!
Außerdem merkwürdig: Menschen sind ständig unterwegs! Straßen sind eine Verbindung zwischen Abfahrtspunkt und Ankunftspunkt, und doch verbringen sie so viel Zeit damit, einen Ort zu verlassen und den anderen anzusteuern, und überhaupt sind Ziele ein ziemlich großes Thema. Auch Beziehungen sind wie Straßen. Karrieren. An dieser Stelle muss ich den Humor des Buches loben. Matt Haig zieht scharf an, bringt sehr viele witzige und philosophische Gegebenheiten auf den Punkt, lässt dann aber zugunsten der Geschichte nach, wenn die Handlung allmählich Fahrt aufnimmt.
Schwächen des Buchs
Das Alien lernt die Sprache sehr schnell, da die menschliche Sprache sehr komplex und die Leute auf diesem Planeten ohnehin sehr unterentwickelt und primitiv sind. Das Alien glaubt, die Idiotie der Menschheit käme vom zu langsamen Lesen. So weit, so gut, allerdings vergeht keine Gelegenheit, in denen ein technisches Gerät nicht ausdrücklich „primitiv“ ist. Es gibt kein Smartphone und auch keine Kopfhörer, es gibt nur das primitive Smartphone und die primitiven Kopfhörer. Und einen primitiven Fernseher, primitive Fernbedienungen, primitive Autos … Das nervt vielleicht! Ich habe auf Seite 60 begriffen, dass Smartphones und Fernseher primitiv sind, ich weiß es auf Seite 150 immer noch, und auf Seite 200 brauchst du mich nicht daran zu erinnern, lieber Matt Haig.
Ebenso ging das auch mit der Farbe violett. Auf dem Heimatplaneten des Aliens ist irgendwas (oder alles?) violett, und wenn er ein Sofa, ein Kleid, den Himmel oder irgendetwas anderes in den Farben lila oder violett sieht, wird das sofort kommentiert und in Verbindung mit der Heimat gebracht. Auch etwas too much, wobei es im Gegensatz zu der primitiv-Inflation sogar ein Stilmittel ist.
Fazit zu „Ich und die Menschen“
Ja, 97 ist die beste Primzahl. Das hat das Alien richtig erkannt, und das denke ich schon seit der fünften Klasse. Allgemein ist 97 die beste Zahl. Besonders aufgefallen sind mir die 97 Überlebenstipps, die es im Verlauf des Buches gibt. Ich möchte nicht spoilern, also sage ich nichts zum Inhalt oder zu den Umständen, wie diese Tipps formuliert werden. So viel sei gesagt: Fans von „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ werden dieses Buch allein der Liste wegen mögen.
Und für alle anderen: Der Plot ist nicht umwerfend, das gesamte Buch ist nicht berauschend, aber es ist fesselnd, spannend, nett und interessant. Durchweg gut, wenn auch nicht der hellste Stern im Bücherhimmel.
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Ich und die Menschen
Matt Haig
erschienen bei dtv
21. August 2015
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Kia liest. Nicht nur Sachbücher zur persönlichen Entwicklung und Schreibratgeber, sondern auch Entwicklungsromane, nerdige Science Fiction und alles, was zwischen Utopie und Dystopie ein bisschen Drama angereichert hat. Beim Buchensemble gibt sie hin und wieder Einblicke in ihre Reiseberichte, die sie beim Durchqueren spannender Welten anfertigt.